Ve­ga­ne Er­näh­rung in Schwan­ger­schaft und Still­zeit

Gast­kom­men­tar von Va­len­tin Salz­ge­ber, Arzt und Vor­stands­mit­glied der Ve­ga­nen Ge­sell­schaft Schweiz (Res­sort Ge­sund­heit)

verschiedene Teller mit Essen
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Eine ve­ga­ne Er­näh­rung ist in je­der Le­bens­pha­se mög­lich. Da in Wachs­tums­pha­sen der Nähr­stoff­be­darf aber hö­her ist, muss der Er­näh­rung da­bei mehr Auf­merk­sam­keit ge­schenkt wer­den und zu­sätz­li­che Nähr­stof­fe müs­sen sub­sti­tu­iert wer­den. Das gilt nicht nur für Ve­ga­ne.

Schwan­ger­schaft


Wie in al­len Le­bens­la­gen bil­det Ab­wechs­lung das Fun­da­ment ei­ner ge­sun­den Er­näh­rung. Ei­ni­ge An­pas­sun­gen sind wäh­rend der Schwan­ger­schaft je­doch nö­tig. So soll­te bei­spiels­wei­se die Pro­te­in­zu­fuhr er­höht wer­den, ohne die Ka­lo­ri­en­zu­fuhr zu stei­gern. Der Ei­sen­be­darf ver­dop­pelt sich na­he­zu und der Zink­be­darf steigt um die Hälf­te, wes­we­gen eine ge­ziel­te Aus­wahl von ei­sen- und zink­rei­chen Le­bens­mit­teln sinn­voll ist. Eine Ei­sen­sup­ple­men­tie­rung kann not­wen­dig wer­den, pro­phy­lak­tisch wird sie aber nicht emp­foh­len. Man­che Nähr­stof­fe kön­nen un­mög­lich nur über die Nah­rung zu­ge­führt wer­den. Hier muss mit Sup­ple­men­ten nach­ge­hol­fen wer­den. Idea­ler­wei­se ach­ten Frau­en be­reits vor ei­ner ge­wünsch­ten Schwan­ger­schaft auf eine op­ti­ma­le Nähr­stoff­ver­sor­gung.

Das Wich­tigs­te zu­erst: Vit­amin B12 ist in ei­ner rein pflanz­li­chen Er­näh­rung nicht ent­hal­ten und muss zwin­gend sub­sti­tu­iert wer­den. In der Schwan­ger­schaft ist der Be­darf an Vit­amin B12 er­höht und die Kon­se­quen­zen ei­nes Man­gels für das Kind sind gra­vie­rend. Emp­foh­len wer­den hoch do­sier­te Sup­ple­men­te und in Ab­spra­che mit dem Arzt oder der Ärz­tin eine re­gel­mäs­si­ge Über­prü­fung der Blut­wer­te.

Eben­falls zen­tral ist die Sup­ple­men­tie­rung von Vit­amin D. Ein Man­gel er­höht so­wohl das Ri­si­ko für Er­kran­kun­gen der Mut­ter, wie Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes und Prä­eklamp­sie, als auch für eine tie­fe Kno­chen­dich­te und eine Früh­ge­burt des Kin­des.

Die emp­foh­le­ne Zu­fuhr von Jod steigt in der Schwan­ger­schaft auf fast das Dop­pel­te an, so­dass eine De­ckung durch Nah­rungs­mit­tel prak­tisch un­mög­lich ist. Auch wird eine Sub­sti­tu­ti­on von DHA emp­foh­len – eine Fett­säu­re, die haupt­säch­lich in Fisch ent­hal­ten ist. Ve­ga­ne sind in Stu­di­en ent­spre­chend schlech­ter da­mit ver­sorgt. Der mensch­li­che Kör­per kann zwar DHA selbst her­stel­len, al­ler­dings nur in ei­ner of­fen­bar un­zu­rei­chen­den Men­ge. Die Stu­di­en­la­ge zur Sup­ple­men­ta­ti­on ist dürf­tig, trotz­dem emp­fiehlt sie sich in der Wachs­tums­pha­se, um kein Ri­si­ko ein­zu­ge­hen.

Schwie­rig wird es beim The­ma Fol­säu­re. All­ge­mein wird Schwan­ge­ren eine zu­sätz­li­che täg­li­che Zu­fuhr von 400 μg als Sup­ple­ment emp­foh­len, um das Ri­si­ko für Miss­bil­dun­gen zu sen­ken. Gleich­zei­tig zei­gen Stu­di­en in den USA, dass Fo­lat, die syn­the­ti­sche Form der Fol­säu­re, auch un­er­wünsch­te Wir­kun­gen hat. Da Ve­ga­ne im Durch­schnitt auf­grund des ho­hen Ge­mü­se­an­teils in der Er­näh­rung täg­lich cir­ca 300 μg mehr Fol­säu­re zu sich neh­men als Nicht­ve­ga­ne, ist der Nut­zen ei­ner Sup­ple­men­ta­ti­on bei Ve­ga­nen un­klar. Ob und in wel­cher Form eine Fo­lat­sup­ple­men­ta­ti­on sinn­voll ist, gilt es mit der Ärz­tin oder dem Arzt zu be­spre­chen.

Still­zeit


Der Nähr­stoff­be­darf bleibt auch in der Still­zeit hoch und eine ab­wechs­lungs­rei­che Er­näh­rung und die Sup­ple­men­ta­ti­on aus der Schwan­ger­schaft soll­ten fort­ge­führt wer­den. Stil­len er­höht den Ka­lo­ri­en­be­darf, was die Nähr­stoff­de­ckung ver­ein­facht. Aus­ser­dem sinkt der Ei­sen­be­darf fast wie­der auf das Ni­veau vor der Schwan­ger­schaft. Aus ge­sund­heit­li­cher Sicht wird all­ge­mein emp­foh­len, min­des­tens sechs Mo­na­te zu stil­len. Man­che Müt­ter kön­nen oder wol­len dies nicht. In die­sen Fäl­len eig­net sich eine pro­fes­sio­nel­le Säug­lings­nah­rung auf So­ja­ba­sis. Die Phy­to­ös­tro­ge­ne im Soja ha­ben kei­ne ne­ga­ti­ven hor­mo­nel­len Aus­wir­kun­gen auf Säug­lin­ge. Auf kei­nen Fall eig­nen sich selbst her­ge­stell­te Säug­lings­nah­run­gen, denn die­se sind für die Be­dürf­nis­se von Säug­lin­gen kom­plett un­ge­eig­net.

Kind­heit


In der von Wachs­tum ge­präg­ten Kind­heit ist der Nähr­stoff­be­darf be­son­ders hoch. Doch zahl­rei­che Kin­der wer­den in der Schweiz ve­gan er­nährt und ent­wi­ckeln sich präch­tig. Der Aus­tausch mit an­de­ren El­tern kann sehr wert­voll sein, ins­be­son­de­re die Face­book-Grup­pe «Ve­ga­ne El­tern und Kin­der ohne Eso­te­rik» (bit.ly/ve­g­an­eKin­der) wird Ih­nen bei Fra­gen zur Er­näh­rung und zum All­tag all­ge­mein zur Sei­te ste­hen.

Jede Er­näh­rungs­form hat ihre Schwach­stel­len, kei­ne ist per­fekt. Wich­tig ist, dass man sich be­wusst ist, wor­auf man bei der ge­wähl­ten Er­näh­rungs­wei­se ach­ten muss, und dass man sich und die Fa­mi­lie ab­wechs­lungs­reich er­nährt. In Stu­di­en zeigt sich re­gel­mäs­sig, dass man­che Ve­ga­ne nicht die emp­foh­le­ne Pro­te­in­zu­fuhr er­rei­chen. Da­bei gibt es vie­le gute pflanz­li­che Pro­te­in­quel­len. Ge­ra­de in der Kind­heit ist eine aus­rei­chen­de Pro­te­in­zu­fuhr wich­tig. Sehr gute Pro­te­in­quel­len sind So­ja­milch, Nüs­se, Tofu, aber auch Spi­nat und Lin­sen.

So­wohl bei ve­ga­nen Er­wach­se­nen wie auch bei Kin­dern zeigt sich häu­fig eine tie­fe­re Auf­nah­me von Kal­zi­um. Es ist un­klar, ob und wel­che Re­le­vanz dies hat. Bei Kin­dern soll­te aber kein Ri­si­ko ein­ge­gan­gen wer­den. Mit Kal­zi­um ver­se­he­ne Pflan­zen­milch ent­hält – ana­log zur Kuh­milch – in der Re­gel 120 mg Kal­zi­um pro De­zi­li­ter. Mi­ne­ral­was­ser kön­nen bis zu 50 mg pro De­zi­li­ter ent­hal­ten. Über­schla­gen Sie in re­gel­mäs­si­gen Ab­stän­den, ob Ihr Kind die emp­foh­le­ne Zu­fuhr er­reicht, und ver­zich­ten Sie auf Kal­zi­um­sup­ple­men­te.

Di­ver­se Stu­di­en ha­ben die Ei­sen­ver­sor­gung von ve­ga­nen und om­ni­vo­ren Kin­dern ver­gli­chen, al­ler­dings nur mit we­nig Teil­neh­men­den. Die Er­geb­nis­se ent­spre­chen den­je­ni­gen der Er­wach­se­nen­welt: Ein Ei­sen­man­gel kommt in al­len Grup­pen gleich häu­fig vor, es fin­det sich aber ein tie­fe­rer Ei­sen­spei­cher bei ve­ga­ner und ve­ge­ta­ri­scher Er­näh­rung. Es gibt also kei­ne Recht­fer­ti­gung für eine Ei­sen­sup­ple­men­ta­ti­on oder Blut­tests an ve­ga­nen Kin­dern, die sich wohl­füh­len. Es ist aber wich­tig, ein paar gute Ei­sen­quel­len in den All­tag ein­zu­bau­en, zum Bei­spiel Nüs­se und So­ja­pro­duk­te.

Es gibt zahl­rei­che Stu­di­en zur Aus­wir­kung von So­ja­kon­sum in der Kind­heit. So zeigt der So­ja­kon­sum zum Bei­spiel kei­nen Ein­fluss auf den Zeit­punkt der ers­ten Mens­trua­ti­on. Da­für zeig­te sich bei hö­he­rem So­ja­kon­sum in der Ju­gend ein tie­fe­res Ri­si­ko für Brust­krebs in fort­ge­schrit­te­nem Al­ter. Phy­to­ös­tro­ge­ne ha­ben also ei­nen sehr be­schränk­ten Ef­fekt auf das Hor­mon­sys­tem, und in bis­he­ri­gen Stu­di­en scheint dies eher ein Vor­teil als ein Nach­teil zu sein.

Auch im Kin­des­al­ter ist es nicht mög­lich, alle Nähr­stof­fe in aus­rei­chen­dem Aus­mass al­lei­ne mit der Er­näh­rung zu de­cken. Be­son­ders wich­tig ist bei ve­ga­ner Er­näh­rung da­her die Sub­sti­tu­ti­on mit Vit­amin B12 aus ei­ner si­che­ren Quel­le. Be­den­ken Sie, dass Kin­der noch kei­ne Ge­le­gen­heit hat­ten, ei­nen Vit­amin-B12-Spei­cher auf­zu­bau­en und so­mit viel schnel­ler ei­nen Man­gel ent­wi­ckeln, der im schlimms­ten Fall zum Tode füh­ren kann.

Für alle Kin­der – un­ab­hän­gig von der Er­näh­rung – ist eine Vit­amin-D-Sup­ple­men­ta­ti­on Pflicht. Ve­ga­nen Kin­dern emp­fiehlt sich eine leicht hö­he­re Do­sis, da pflanz­li­che Nah­rung prak­tisch kein Vit­amin D ent­hält, plus die Sub­sti­tu­ti­on von DHA.

Ve­ga­ne Er­wach­se­ne sind in Stu­di­en ten­den­zi­ell schlech­ter mit Jod ver­sorgt, wo­bei un­klar ist, ob dies von Be­deu­tung ist. Zur Jod­ver­sor­gung von ve­gan er­nähr­ten Kin­dern gibt es kei­ne Un­ter­su­chun­gen. Die wich­tigs­te Quel­le für Jod in der Schweiz ist an­ge­rei­cher­tes Spei­se­salz. Zu­sätz­lich emp­fiehlt sich die Sup­ple­men­ta­ti­on von 50 μg Jod pro Tag, da ein Jod­man­gel Ent­wick­lungs­stö­run­gen zur Fol­ge ha­ben kann.

Eine Blut­ent­nah­me ist für Kin­der ein deut­lich trau­ma­ti­sche­res Er­eig­nis als für Er­wach­se­ne. Ent­spre­chend muss die­se gut be­grün­det sein. Wer die ge­nann­ten Emp­feh­lun­gen be­folgt, soll­te die emp­foh­le­nen kin­der­ärzt­li­chen Ter­mi­ne wahr­neh­men und an­hand des Ge­wichts und der Grös­se über­prü­fen, ob sich das Kind ent­spre­chend den Er­war­tun­gen ent­wi­ckelt. Soll­te dies nicht der Fall sein, oder fühlt sich das Kind ge­ne­rell nicht wohl, ist die Über­prü­fung der oben ge­nann­ten Nähr­stof­fe mit­tels Blut­ent­nah­me sinn­voll. Rei­ne Rou­ti­ne­kon­trol­len sind nicht ge­recht­fer­tigt.

Ge­sund­heit­li­che Aus­wir­kun­gen


Eine kor­rekt durch­ge­führ­te ve­ga­ne Er­näh­rung ist also auch in den Wachs­tums­pha­sen eine mög­li­che Op­ti­on. Ak­tu­ell gibt es nur we­ni­ge Stu­di­en, die den Ein­fluss ei­ner ve­ga­nen Er­näh­rung im Kin­des­al­ter un­ter­sucht ha­ben. Die­se las­sen drei Schluss­fol­ge­run­gen zu: Ve­ga­ne Kin­der ent­wi­ckeln sich geis­tig gleich schnell und sind eben­so in­tel­li­gent wie nicht ve­ga­ne. Ve­ga­ne Kin­der sind ten­den­zi­ell et­was we­ni­ger gross und schlan­ker. Über­ge­wich­ti­ge Kin­der pro­fi­tie­ren von ei­ner ve­ga­nen Er­näh­rung. Über­ge­wicht ist ei­nes der ein­schrän­kends­ten und häu­figs­ten Pro­ble­me im Kin­des­al­ter. Es hat mas­si­ve ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf Le­bens­er­war­tung und Psy­che. Die pflanz­li­che Er­näh­rung könn­te also ei­nen ech­ten Bei­trag zur lang­fris­ti­gen Be­hand­lung leis­ten.

Letzte Aktualisierung: 07.10.2019, BH

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