Muttertät - der lange Prozess, Mutter zu werden

Mutter zu werden ist eine tiefgreifende Veränderung, die durchaus mit der Pubertät vergleichbar ist.

Schwangere Frau mit wachsendem Babybauch
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Wenn eine Frau Mutter wird, verändert sich ihr Leben in vielfacher Hinsicht. Diese Veränderung beginnt nicht erst mit der Geburt - und sie endet auch nicht dann, wenn das Baby da ist. 

Was versteht man unter Muttertät?


Muttertät ist die Übersetzung des Begriffs "matrescence", der auf die amerikanische Anthropologin Dana Raphael zurückgeht. Sie bezeichnete damit bereits in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts den Prozess, der eine Frau zur Mutter macht, also sozusagen "die Geburt einer Mutter". Sie lehnte den Begriff bewusst an das Wort "adolescence" an, weil die Veränderungen, die eine Frau durchläuft, ähnlich tiefgreifend sind wie die Adoleszenz. Dies spiegelt sich auch im deutschen Begriff Muttertät wieder, der sich von "Pubertät" ableitet. Im deutschen Sprachraum wurde er unter anderem von den Doulas Natalia Lamotte und Sarah Galan bekannt gemacht. 

Indem der Prozess des Mutterwerdens mit den Teenagerjahren verglichen wird, soll aufgezeigt werden, dass die Weichen im Leben einer Frau neu gestellt werden, wenn sie ein Kind bekommt - und dass diese Veränderungen ähnlich wie in der Pubertät mit vielen Unsicherheiten verbunden sind. 

Während den körperlichen Veränderungen grosse Aufmerksamkeit geschenkt wird und der Fokus ganz auf die Gesundheit von Mutter und Kind gerichtet ist, finden andere Aspekte oftmals kaum Beachtung. Dabei verändern Schwangerschaft, Geburt und die erste Zeit mit dem Baby das Leben nicht nur grundlegend, sondern auch dauerhaft und in vielerlei Hinsicht. 

Wie lange dauert die Muttertät?


Die Muttertät beginnt spätestens, wenn eine Frau schwanger wird - oftmals aber auch schon dann, wenn sie sich mit der Frage auseinandersetzt, was es für sie bedeuten würde, ein Kind zu bekommen. Sie dauert über die ganze Zeit der Schwangerschaft an und ist während der ersten Monate und Jahre mit dem Baby besonders intensiv.

Manche Autorinnen, zum Beispiel Svenja Krämer und Hanna Mayer, sind der Auffassung, dass die Muttertät etwa zwei Jahre nach der Geburt endet, wenn sich alles gut eingespielt hat, die Frau in der Mutterrolle angekommen ist und diese in ihre Identität integriert hat. Andere Autorinnen argumentieren, die Matreszenz dauere weit darüber hinaus an und beginne auch mit jedem Kind von Neuem. Dies, weil eine Mutter mit ihrem Kind mitwächst, sodass sich ihre Rolle immer wieder verändert, wenn sich in seinem Leben etwas ändert, selbst dann, wenn es bereits erwachsen ist. 

Wie lange die Muttertät dauert, ist wohl ein Stück weit individuell. Denn während die eine Frau den Übergang zur Mutterschaft als einen langwierigen und äusserst einschneidenden Prozess erlebt, findet sich eine andere leichter in der neuen Rolle wieder. Wie leicht das Ankommen in der Mutterrolle fällt, hängt natürlich auch von äusseren Umständen ab, zum Beispiel, wie viel Unterstützung die Familie bietet oder wie gut die Partnerschaft trägt. 

Was verändert sich während der Muttertät?


Führt man sich vor Augen, was sich während der Muttertät alles ändert, fällt auf, wie treffend der Vergleich mit der Pubertät ist. Genau wie beim Erwachsenwerden muss eine werdende Mutter mit rasanten körperlichen Veränderungen klarkommen, sie wird von neuen und zum Teil intensiven Gefühlen übermannt, Partnerschaftsfragen können auf einmal wieder sehr zentral werden, die Beziehung zu den eigenen Eltern wandelt sich und auch die Frage, wie es beruflich weitergehen soll, bekommt eine neue Dringlichkeit. Weil diese Veränderungen so tiefgreifend sind, lohnt es sich, sie im Detail anzuschauen. 

Körperliche Veränderungen


Die äusserlichen Veränderungen sind am augenfälligsten: Das Haar wird voller und glänzender, die Haut wirkt strahlend, hat aber vielleicht auch mit mehr Unreinheiten zu kämpfen, die Brust verändert sich und der Bauch wächst. Neben diesen sichtbaren Veränderungen passiert im Verborgenen jedoch noch viel mehr. Während der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett sind (werdende) Mütter starken hormonellen Veränderungen ausgesetzt. Diese wirken sich nicht nur auf die Vorgänge im Körper aus, sondern können auch die Stimmung beeinflussen. Dies zeigt sich zum Beispiel einige Tage nach der Geburt, wenn viele Mütter vorübergehend in ein seelisches Tief fallen, den sogenannten Babyblues. 

Eine bislang wenig erforschte Tatsache ist, dass auch das Gehirn sich während der Schwangerschaft aufgrund des Hormoneinflusses verändert. So konnten beispielsweise Studien nachweisen, dass die graue Substanz in Gehirnarealen schrumpft, die für soziales Verhalten und Empathie verantwortlich sind. Dies bedeutet jedoch keinen Verlust, sondern eine Art Spezialisierung, sodass das Gehirn auf seine neuen Aufgaben vorbereitet ist. Noch ist aber weitgehend unklar, wie sich diese Veränderungen auswirken und wie dauerhaft sie sind. Die Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass der Umbau im Gehirn ähnlich dramatisch ist wie während der Pubertät. 

Alle diese körperlichen Veränderungen in so kurzer Zeit können ganz schön viel sein. Da sind einerseits die positiven und überwältigenden Erfahrungen: Der Körper ist in der Lage, neues Leben entstehen zu lassen, er hat eine strapazenreiche Geburt bewältigt und produziert Nahrung für das Neugeborene. Bei vielen Frauen führen diese Erlebnisse zu einem neuen Körpergefühl und einem wachsenden Selbstbewusstsein

Auf der anderen Seite gibt es aber auch die schwierigen Erfahrungen. Während das Wachsen des Bauches in der Schwangerschaft noch positiv gesehen wird, kommt nach der Geburt schnell einmal der Druck auf, dass alles wieder so sein soll wie vorher. Immerhin sehen die Influencerinnen auf Social Media nach der Schwangerschaft auch wieder genau gleich strahlend aus wie zuvor. In Wirklichkeit aber braucht es Zeit, bis Geburtsverletzungen verheilt sind, bis alle Organe wieder an ihrem Platz sind, bis der Beckenboden sich erholt hat und trainiert werden kann und bis der Körper sein Wohlfühlgewicht zurückerlangt hat. Und es kann durchaus sein, dass Spuren wie Schwangerschaftsstreifen oder ein paar zusätzlichen Kilos dauerhaft bleiben. Den eigenen Körper anzunehmen und sich darin wohlzufühlen, kann deshalb schwierig sein. Oft dauert es mehrere Monate oder länger, bis es gelingt, mit dem veränderten Spiegelbild Frieden zu schliessen. 

Auch das Stillen kann in der Realität weitaus schwieriger und schmerzhafter sein, als es den Anschein macht. In manchen Fällen will es gar nicht klappen, ein Umstand, der betroffenen Frauen oftmals schwer zu schaffen macht. 

Psychische Veränderungen


So manche Mutter wird überrascht davon, dass sie nach der Geburt nicht einfach wunschlos glücklich ist. Zu der Freude über die Ankunft des Babys und der grenzenlosen Liebe, die sie empfindet, gesellen sich noch ganz andere Empfindungen: Das Bewusstsein, was für eine riesige Verantwortung da auf einen zukommt. Die grosse Unsicherheit, wie es gelingt, die Bedürfnisse des Babys zu stillen und es gut zu umsorgen. Vielleicht auch das Gefühl, "nur" noch Mutter zu sein und alles verloren zu haben, was vorher im Leben zählte. Je nachdem, wie die Schwangerschaft, die Geburt und die erste Zeit mit dem Neugeborenen verlaufen sind, gibt es auch schwierige Erlebnisse zu verarbeiten

Wenn man bedenkt, wie einschneidend sich das Leben innert kürzester Zeit verändert hat, sind diese gemischten Gefühle durchaus nachvollziehbar. Dennoch wird wenig darüber geredet, denn es wird erwartet, dass das Mutterglück alles andere überstrahlt. Dass eine Frau Zeit braucht, um in die Mutterrolle hineinzuwachsen und ihre neue Identität zu finden, wird oft wenig beachtet. 

Viele Mütter machen zudem die Erfahrung, dass sie nach der Geburt Gefühle stärker wahrnehmen. Ob Freude, Liebe, Wut oder Angst - alles fühlt sich intensiver an. Manche Frauen fühlen sich auch durch Emotionen aus der Bahn geworfen, die sie vorher kaum kannten. So kann es beispielsweise sein, dass eine Frau, die früher alles mit einem nüchternen Blick betrachtet hat, auf einmal sehr nah am Wasser gebaut ist. 

Und dann sind da noch die stetigen Schuldgefühle, die so mancher Frau einreden, das Baby habe nicht die wunderbare Mutter, die es verdient hat. Meist machen sie sich bereits in der Schwangerschaft bemerkbar, denn es gibt ja so vieles, was eine schwangere Frau tun oder lassen sollte, damit es dem im Bauch heranwachsenden Baby gut geht. Auch diese Gefühle intensivieren sich nach der Geburt. Denn da ist auf der einen Seite ein Neugeborenes, das voll und ganz darauf angewiesen ist, dass die Eltern seine Bedürfnisse stillen. Auf der anderen Seite ist da eine Mutter, die das Bedürfnis hätte, sich zu erholen, mal kurz unter die Dusche zu stehen, ein paar Stunden ungestört zu schlafen, einige Momente nur für sich zu haben ... Da kann schnell einmal das Gefühl aufkommen, sie werde weder dem Baby noch sich selbst gerecht. 

Veränderte Beziehungen


Ein Baby verändert Beziehungen: Die Partnerschaft, in der sich beide erst wieder finden müssen, weil das Kind nun oftmals an erster Stelle steht. Das Verhältnis zu den Eltern, die jetzt auch Grosseltern sind und in ihre neue Rolle hineinfinden müssen. Alte Freundschaften, die plötzlich nicht mehr so eng sind, weil sich im eigenen Leben so viel geändert hat. Eine neue Verbundenheit mit anderen Müttern, die einen durch schwierigste Zeiten hindurch trägt, weil diese Frauen so gut verstehen, wie herausfordernd der Alltag mit Kindern sein kann. 

Natürlich bringt ein neues Familienmitglied auch Bewegung in die Herkunftsfamilien der frischgebackenen Eltern. Und falls schon ältere Kinder da sind, wird das Gefüge unter den Geschwistern durch die Ankunft des Babys ebenfalls umgestaltet. 

All dies kann spannend und bereichernd sein, aber auch schwierig und schmerzhaft. Zum Beispiel, weil es schwerfällt, zu einer tiefen Vertrautheit mit dem Partner und einer erfüllenden Sexualität zurückzufinden. Weil die ehemals beste Freundin kaum Interesse am Baby zeigt und nicht versteht, warum spontanes Ausgehen nicht mehr drinliegt. Weil die frischgebackenen Grosseltern Mühe haben, Grenzen zu respektieren. Oder weil es gar nicht so einfach ist, Kontakt zu anderen Müttern zu finden und sich deshalb allmählich die Einsamkeit bemerkbar macht. 

Und dann ist da auch noch die Beziehung zu sich selbst. Denn jetzt, wo so vieles neu und unbekannt ist, müssen viele Frauen erst einmal sich selbst wieder finden und sich in der neuen Rolle kennenlernen. Doch wie kann das gelingen, wenn so wenig Zeit bleibt, um gut zu sich zu schauen und sich vertieft mit den veränderten Gegebenheiten auseinanderzusetzen?

Berufliche Veränderungen


Auch im beruflichen Bereich ändert sich innerhalb von sehr kurzer Zeit enorm viel: Zuerst ist da der Wechsel vom Berufsalltag zum Alltag mit einem Neugeborenen. Der Wechsel also von einem Alltag mit festen Arbeitszeiten und der Möglichkeit, die eigenen Kompetenzen unter Beweis zu stellen, zu einem Alltag, in dem Tag und Nacht Einsatz gefragt ist und in dem oft die verzweifelte Frage im Zentrum steht, welcher Trick denn noch helfen könnte, damit das Baby endlich schläft. Oftmals fehlt es in diesem neuen Alltag an Anerkennung, denn es wird als selbstverständlich erachtet, dass eine Mutter sich liebevoll um ihr Baby kümmert. Und auch die Erfolgserlebnisse sind rar, denn ein Baby ist nun mal ein lebendiges Wesen, das nicht einfach "funktioniert", wie es im Erziehungsratgeber steht. 

Kaum hat sich dieser neue Alltag etwas eingespielt, steht für viele Mütter der nächste Wechsel an: Vom Mutterschaftsurlaub zurück in den Beruf. Ein zugleich gefürchteter und willkommener Schritt. Gefürchtet, weil es oftmals schwer fällt, nach so kurzer Zeit das Baby schon von jemand anderem betreuen zu lassen. Und willkommen, weil es gut tut, wieder der gewohnten Arbeit nachzugehen und ein Stück des alten Lebens zurückzubekommen.

Doch ganz so wie vor der Geburt wird es auch im Arbeitsalltag nicht mehr sein. Denn ab jetzt bestimmen die Kitaöffnungszeiten, wie lange der Arbeitstag dauert und die Tränen beim Abschied, ob man entspannt zur Arbeit geht oder sich den ganzen Tag darüber sorgt, wie es dem Kind wohl ergehen mag. Und weil Kinder immer mal wieder einen Krankheitserreger auflesen, muss auch die Arbeit das eine oder andere Mal hinter dem Familienleben zurückstehen. Dadurch kann das Gefühl aufkommen, man werde weder dem Kind noch den Ansprüchen des Arbeitgebers gerecht - und schon machen sich erneut die Schuldgefühle bemerkbar. 

Was hilft, um gut durch die Muttertät zu kommen?


All diese Veränderungen zeigen: Schwangerschaft, Geburt und Muttersein verlangen einer Frau enorm viel ab. Auf so vielen Ebenen gilt es, Umbrüche zu akzeptieren, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen und sich neu auszurichten. Um all dies gut bewältigen zu können, ist es zuallererst einmal wichtig, anzuerkennen, was da gerade geschieht. Wer sich bewusst macht, wie tiefgreifend diese Veränderungen sind und wie viel Zeit und Geduld es braucht, in die neuen Aufgaben hineinzuwachsen, kann gelassener darauf reagieren, wenn die Dinge nicht auf Anhieb laufen wie gewünscht. Und wer sich immer wieder vor Augen führt, dass dieser Lebensabschnitt ähnlich herausfordernd ist wie die Pubertät, kann mit sich selbst gnädiger sein. Das mit dem Erwachsenwerden hat ja auch nicht über Nacht und vollkommen reibungslos funktioniert. 

Ganz zentral ist auch die Erkenntnis, dass gewisse Startschwierigkeiten in diesem neuen Lebensabschnitt normal sind. Wenn mal etwas häufiger die Tränen fliessen oder der Geduldsfaden viel schneller reisst als üblich, muss es sich nicht zwingend um Anzeichen einer postpartalen Depression handeln. Zwar ist es wichtig und richtig, diesem Thema Beachtung zu schenken und bei Verdacht auf eine Depression schnell Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch auch für nicht betroffene Mütter kann sich der Start ins Familienleben überwältigend anfühlen, sodass die Freude über das Baby nahezu verdrängt wird durch die vielen neuen Herausforderungen des Alltags. 

Wichtig ist zudem, ein offenes Ohr zu finden, um über all die Veränderungen, Herausforderungen und Überforderungen zu reden. Es kann hilfreich sein, neben dem Partner, der selber ja auch gerade Neuland betritt und sich erst noch seinen Weg bahnen muss, weitere vertraute Personen zu haben. Andere Mütter verstehen oft besser, wie gemischt die Gefühle in den ersten Monaten mit dem Baby sein können. Und meist wissen sie auch, wie sie einem mit praktischer Hilfe das Leben ein wenig leichter machen können. Ein tragendes Netzwerk von Müttern kann deshalb enorm wertvoll sein, um insbesondere die erste Zeit der Muttertät gut zu überstehen.

Schliesslich gilt es, nach und nach wieder Zeit zu finden, um gut zu sich selbst zu schauen. In den ersten Wochen mit dem Neugeborenen ist dies natürlich alles andere als einfach. Sobald sich die Dinge etwas eingespielt haben, braucht es jedoch regelmässige Verschnaufpausen, um wieder Kraft zu tanken. Je grösser das Kind wird, umso eher wird es dann möglich, Freizeit einzuplanen, eigenen Hobbies nachzugehen oder Pläne für das berufliche Weiterkommen zu schmieden und so allmählich einen gangbaren Weg als Frau und Mutter zu finden. 

Letzte Aktualisierung: 25.06.2025, TV