Psy­cho­sen und Schwan­ger­schaft

Mut­ter zu wer­den, kann ei­ner Frau mit psy­chi­scher Er­kran­kung gut tun. Die gros­se Fra­ge: Scha­den Psy­cho­phar­ma­ka dem Baby und dür­fen sie ein­fach ab­ge­setzt wer­den?

Paar in der Krise

Auch Frau­en mit psy­chi­schen Er­kran­kun­gen ha­ben ein Recht dar­auf, Mut­ter zu wer­den. Ist die Er­kran­kung mit Me­di­ka­men­ten und wei­te­ren Be­hand­lungs­mass­nah­men gut un­ter Kon­trol­le und be­steht ein sta­bi­les Um­feld, kann sich die El­tern­schaft durch­aus sta­bi­li­sie­rend und po­si­tiv aus­wir­ken. Vie­len schwan­ge­ren Frau­en geht es in die­ser Pha­se auch psy­chisch rich­tig gut. Al­ler­dings mischt sich in den Kin­der­wunsch auch im­mer eine ge­wis­se Angst: Müs­sen Me­di­ka­men­te ab­ge­setzt oder er­setzt wer­den? Wird die Krank­heit sich da­durch ver­schlech­tern?

Psych­ia­ter und Gy­nä­ko­lo­gen be­treu­en ge­mein­sam


Eine Schwan­ger­schaft bei be­kann­ter psy­cho­ti­scher Er­kran­kung ist im­mer eine Ri­si­ko-Schwan­ger­schaft und muss un­be­dingt eng­ma­schig psych­ia­trisch und ge­burts­hilf­lich be­treut wer­den. Bi­po­la­re Müt­ter ha­ben un­ab­hän­gig von ei­ner phar­ma­ko­lo­gi­schen The­ra­pie ein er­höh­tes Ri­si­ko für ein Kind mit an­ge­bo­re­nen Fehl­bil­dun­gen, eine Fehl­ge­burt, Früh­ge­burt oder Tot­ge­burt. Eine Tat­sa­che ist lei­der, dass nach der Ge­burt ein 3-4-fach er­höh­tes Psy­cho­se-Ri­si­ko (Wo­chen­bett­psy­cho­se) be­steht. Die Ge­burt soll­te da­her mög­lichst in ei­nem Schwer­punkt-Kran­ken­haus mit Psych­ia­trie und Neo­na­to­lo­gie er­fol­gen.

Da alle Psy­cho­phar­ma­ka über die Pla­zen­ta auf das Kind über­ge­hen, kön­nen beim Neu­ge­bo­re­nen vie­ler­lei An­pas­sungs­stö­run­gen auf­tre­ten, z.B. bei der Tem­pe­ra­tur­re­gu­la­ti­on, bei der At­mung und Ver­dau­ung. Das Neu­ge­bo­re­ne muss also nach der Ge­burt be­son­ders gut be­ob­ach­tet wer­den.

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Prof. Dr. med. Anita Riecher-Rössler in einem Video-Vortrag über psychische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit: "Mutter werden ist nicht schwer - Mutter sein dagegen sehr"

Erlebnisbericht einer Leserin zum Thema "Schizophrenie und Schwangerschaft", in dem sie speziell von ihren Erfahrungen mit der Medikamenteneinnahme bei einer psychischen Erkrankung erzählt.

Psy­cho­phar­ma­ka ab­set­zen?


Eine völ­lig me­di­ka­men­ten­freie Schwan­ger­schaft ist sel­ten mög­lich, und wenn dann nur mit lan­ger Vor­be­rei­tung. Das be­deu­tet: Kei­ne un­ge­plan­te Schwan­ger­schaft! Eine Me­di­ka­men­ten-Re­duk­ti­on soll­te un­ter eng­ma­schi­gen Kon­trol­len über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum 6 Mo­na­te vor der ge­plan­ten Schwan­ger­schaft er­fol­gen. Je schnel­ler Me­di­ka­men­te ab­ge­setzt wer­den, umso hö­her ist das Rück­fall­ri­si­ko.

Grund­sätz­lich ist eine Mo­no­the­ra­pie an­zu­stre­ben mit Sub­stan­zen, für die jahr­zehn­te­lan­ge Er­fah­run­gen vor­lie­gen und bei de­nen es kei­nen Hin­weis auf schäd­li­che (te­ra­to­ge­ne) Aus­wir­kun­gen auf das un­ge­bo­re­ne Kind gibt. Bis auf Li­thi­um, Val­proat (Val­pro­in­säu­re) und Car­ba­ma­ze­pin hat sich bis­her kei­nes der klas­si­schen Psy­cho­phar­ma­ka als er­wie­se­ner­mas­sen stark schä­di­gend auf die Em­bryo­nal­ent­wick­lung ge­zeigt.

Sind Sie un­ge­plant schwan­ger ge­wor­den, ist ein so­for­ti­ges pa­nik­ar­ti­ges Ab­set­zen der Me­di­ka­men­te ohne Rück­spra­che mit dem Arzt ge­fähr­lich, vor al­lem für Ihre ei­ge­ne Ge­sund­heit. Und es nutzt auch nichts, denn die Schwan­ger­schaft ist dann häu­fig schon so weit fort­ge­schrit­ten, dass die Pha­se, in der das Un­ge­bo­re­ne sen­si­bel re­agiert, be­reits über­stan­den ist. Wich­tig ist, dass Sie zu­nächst die be­han­deln­den Ärz­te wie Haus­arzt, psych­ia­trisch be­treu­en­den Arzt und Frau­en­arzt in­for­mie­ren und mit die­sen Rück­spra­che hal­ten. Im wei­te­ren Ver­lauf der Schwan­ger­schaft kön­nen dann ge­zielt Un­ter­su­chun­gen (z.B. ein spe­zi­el­ler Fehl­bil­dungs­ul­tra­schall in ei­nem So­no­gra­phie-Zen­trum) zum Aus­schluss ei­ner kör­per­li­chen Schä­di­gung an­ge­bo­ten wer­den.

Bei gu­ter Ein­stel­lung ist das kom­plet­te Ab­set­zen oder ein Me­di­ka­men­ten­wech­sel auch des­halb nicht not­wen­dig, weil ein psy­cho­ti­sches Re­zi­div in der Schwan­ger­schaft eben­falls ne­ga­ti­ve – und mög­li­cher­wei­se noch schlim­me­re - Aus­wir­kun­gen auf das un­ge­bo­re­ne Kind hat. Die Teil­nah­me an der Schwan­ge­ren­vor­sor­ge wird dann ver­nach­läs­sigt, es kommt häu­fi­ger zu man­gel­haf­ter Er­näh­rung so­wie Al­ko­hol- und Ni­ko­tin­miss­brauch.  Dar­aus er­ge­ben sich Pro­ble­me wie z. B. nied­ri­ge­res Ge­burts­ge­wicht oder ein er­höh­tes Früh­ge­burts­ri­si­ko. Stress in der Schwan­ger­schaft kann über er­höh­te Cor­tisol­spie­gel die em­bryo­na­le Ge­hirn-Ent­wick­lung be­ein­träch­ti­gen, aus­ser­dem wird in Nach­un­ter­su­chun­gen über ein er­höh­tes Schi­zo­phre­nie- und Psy­cho­se-Ri­si­ko im Er­wach­se­nen­al­ter be­rich­tet.

Seit Län­ge­rem ist be­kannt, dass die meis­ten An­ti­psy­cho­ti­ka un­güns­ti­ge Aus­wir­kun­gen auf den Stoff­wech­sel ha­ben, z.B. Hy­per­gly­kä­mi­en (er­höh­ter Blut­zu­cker­wert), ein An­stieg der Li­pidwer­te und eine Zu­nah­me des Kör­per­ge­wichts. Die­se Ne­ben­wir­kun­gen kön­nen sich wäh­rend der Schwan­ger­schaft un­güns­tig aus­wir­ken, weil hier oh­ne­hin be­reits eine In­su­lin­re­sis­tenz be­steht. Spe­zi­ell die Fort­set­zung ei­ner Be­hand­lung mit Que­tia­pin oder Olan­za­pin wäh­rend der Schwan­ger­schaft er­höh­te in ei­ner epi­de­mio­lo­gi­schen Stu­die das Ri­si­ko auf ei­nen Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes. Für die Wirk­stof­fe Ari­pi­pra­zol, Zi­pra­si­don und Ris­pe­ri­don wur­de da­ge­gen kein po­ten­zi­el­les Ri­si­ko ge­fun­den.

Stil­len oder nicht?


Bei jun­gen Müt­tern mit bi­po­lar-af­fek­ti­ven oder schi­zo­phre­nen Psy­cho­sen ist die Brust­milch­er­näh­rung ein zwei­schnei­di­ges Schwert. Stil­len för­dert die Mut­ter-Kind-Bin­dung und hat un­zäh­li­ge vor­teil­haf­te Aus­wir­kun­gen auf Mut­ter und Baby. An­de­rer­seits er­höht sich durch den häu­fi­gen Schlaf­ent­zug in den ers­ten Le­bens­wo­chen des Kin­des das Rück­fall­ri­si­ko für die Mut­ter. Und un­ter Li­thi­um und Ben­zo­dia­ze­pi­nen soll­te die Mut­ter oh­ne­hin nicht stil­len.

Sind Psy­cho­sen erb­lich?


Man­che El­tern, bei de­nen ei­ner der Part­ner an ei­ner Psy­cho­se lei­det, ma­chen sich Sor­gen, ihre Er­kran­kung auf die Kin­der wei­ter zu ver­er­ben. Doch gibt es ne­ben erb­li­chen Kom­po­nen­ten eine Viel­zahl an­de­rer Fak­to­ren, die zu ei­ner psych­ia­tri­schen Er­kran­kung füh­ren kön­nen (mul­ti­fak­to­ri­el­ler Erb­gang), so dass ein Wie­der­ho­lungs­ri­si­ko für Kin­der nor­ma­ler­wei­se im ein­stel­li­gen Pro­zent-Be­reich bleibt. Ge­nau­er und in­di­vi­du­el­ler kann das in ei­ner hu­man­ge­ne­ti­schen Be­ra­tung her­aus­ge­fun­den wer­den.

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