Bedeutung von Omega-3 & Omega-6 Fettsäuren für Schwangere und Säuglinge

Interview mit Prof. Berthold Koletzko

Omega3-reiche Lebensmittel
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swissmom: Was sind Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren? Können Sie die Begriffe EPA / DHA / LC-PUFA näher erklären? Ist ein bestimmtes Verhältnis dieser Omega-Fettsäuren wichtig?

Prof. Berthold Koletzko: Für den Menschen sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren aus der Omega-3- und der Omega-6-Gruppe essentiell, d.h. wir müssen sie regelmässig mit der Nahrung aufnehmen, weil wir diese Fette nicht im körpereigenen Stoffwechsel selbst bilden können. Die mehrfach ungesättigten Fettsäuren werden englischsprachig als „polyunsaturated fatty acids“ oder kurz „PUFA“ bezeichnet. Pflanzliche Nahrungsfette und Pflanzenöle liefern die Vorläuferfettsäuren Linolsäure (Omega-6, z. B. in Maiskeimöl, Sonnenblumenöl) und alpha-Linolensäure (omega-3, z. B. in Rapsöl, Sojaöl). Hinsichtlich der gesundheitlichen Wirkungen findet besonderes Interesse die Versorgung mit langkettigen, hochungesättigten Fettsäuren („long-chain polyunsaturated fatty acids“ oder „LC-PUFA“) der Omega-3-Gruppe, die wir vor allem mit fettreichen Meeresfischen wie Hering, Makrele und Lachs zuführen. Diese fettreichen Meeresfische und auch Fischöle enthalten hohe Anteile an Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA).

Zur Person

Prof. Dr. med. Berthold V. Koletzko ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Leiter der Abt. Stoff­wechselkrankheiten und Ernährungsmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital, Klinikum der Universität München.

swissmom: Warum sind diese Fette so entscheidend für die langfristige Entwicklung und Gesundheit des Kindes?

Prof. Berthold Koletzko: Während der Phase des raschen Gehirnwachstums in der zweiten Schwangerschaftshälfte und in den ersten beiden Lebensjahren werden grosse Mengen an DHA in die strukturbildenden Membranfette des kindlichen Gehirns eingebaut. Verschiedene wissenschaftliche Studien haben eine Verbindung zwischen der Verfügbarkeit von DHA vor und nach der Geburt und der kindlichen Entwicklung gefunden. Dabei war eine verbesserte DHA-Versorgung mit Vorteilen der Entwicklung der kindlichen Sehschärfe, der feinmotorischen Funktion, Testergebnissen der sozialen Entwicklung, der Fähigkeit zur Unterscheidung von Sprachbotschaften sowie des Intelligenzquotienten im Vorschul- und im Schulalter verbunden. Deshalb erscheint es unbedingt wünschenswert, dass schwangere und stillende Frauen eine gute Versorgung mit DHA erreichen. Zudem zeigten Auswertungen verschiedener randomisiert kontrollierter Studien, dass die regelmässige Zufuhr von DHA-reichen Ölen (oder auch von Ölen mit DHA und EPA) in der Schwangerschaft das Risiko für eine Frühgeburt vor der 34. Woche um mehr als 30 % vermindert, bei Frauen mit einer Risikoschwangerschaft nach vorangegangener Frühgeburt fand sich eine Risikominderung sogar um mehr als 60 %.  

swissmom: Welche Empfehlungen können Sie werdenden Müttern geben? Wann ist die Einnahme von DHA besonders in der Schwangerschaft empfehlenswert?

Prof. Berthold Koletzko: Kürzlich veröffentlichte Empfehlungen einer internationalen Gruppe von Fachwissenschaftlern, die mit Unterstützung der Europäischen Kommission erarbeitet wurden und von zahlreichen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften gestützt werden, raten zu einer regelmässigen Zufuhr von DHA in Schwangerschaft und Stillzeit. Es wird empfohlen, eine durchschnittliche Zufuhr von mindestens 200 mg DHA/Tag anzustreben. Diese Zufuhr kann durch den Verzehr von wöchentlich 1-2 Seefischmahlzeiten erreicht werden, wenn regelmässig fette Fischsorten gewählt werden. Frauen, die nicht regelmässig Meeresfisch verzehren, sollten die Einnahme von DHA-haltigen Supplementen in Schwangerschaft und Stillzeit erwägen.

swissmom: Ist eine zusätzliche Versorgung mit Omega-3-/-6-Fettsäuren in der westlichen Welt denn auch empfohlen?

Prof. Berthold Koletzko: Mit der in westlichen Ländern üblichen Ernährung erreichen wir eine hohe Zufuhr an Omega-6-Fettsäuren, sowohl in Form der Omega-6-Vorläuferfettsäure Linolsäure aus pflanzlichen Fetten als auch in Form der Omega-6-LC-PUFA aus Fleischwaren und Eiern. Dagegen liegt in Mitteleuropa die mittlere Zufuhr an Omega-3 Fettsäuren deutlich unter den Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr. Eine reichliche Zufuhr von Omega-3-Vorläuferfettsäuren wird durch regelmässigen Verzehr von Rapsöl erreicht, die Omega-3-LC-PUFA nehmen wir vor allem mit Seefisch und Meeresfrüchten zu uns. In jüngerer Zeit werden zunehmend auch mit DHA angereicherte Lebensmittel sowie Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Eine reichliche Zufuhr an Omega-3-Fettsäuren, wie sie auch für die mediterrane Ernährung typisch ist, wurde immer wieder mit einem reduzierten Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen sowie für entzündliche und allergische Erkrankungen in Verbindung gebracht. 

swissmom: Babys, die nicht gestillt werden, erhalten Säuglingsnahrung (Milchschoppenpulver). Soll diese Flaschennahrung auch mit LC-PUFA angereichert sein?

Prof. Berthold Koletzko: Eine Anfang 2008 im Namen der Early Nutrition Academy, der World Association of Perinatal Medicine und der Stiftung Kindergesundheit veröffentlichte Stellungnahme unterstützt Stillen als die bevorzugte Form der Säuglingsernährung, die stets die LC-PUFA-DHA und AA enthält. Für nicht oder nicht voll gestillte Säuglinge wird die Gabe von Säuglingsnahrung mit einem Zusatz von DHA (mindestens 0,2 % des Fettgehaltes) und AA (Alpha-Linolensäure mindestens in Höhe des DHA-Gehaltes) empfohlen.

Letzte Aktualisierung: 03.08.2016, swissmom-Redaktion