Tücken der Erziehung

Mutter bückt sich um mit ihrem Kind zu sprechen
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Ich beruhige mein Gewissen, in dem ich davon ausgehe, dass alle Eltern dieser Erde das Phänomen kennen: Erziehung ist kinderleicht. In der Theorie! Erziehung ist kinderleicht, wenn man kommentieren kann, was der Nachbar oder die Freundin falsch machen mit ihren Kindern.

Erziehung am eigenen Kind dagegen, das ist eine delikate Angelegenheit. Goja führt mir das tagtäglich x-fach vor und manchmal bin ich nahe daran, zu resignieren.

Es beginnt schon am Morgen: Goja bestimmt, wann Tagwache ist. Er zerrt die Vorhänge auf, wenn es sein muss morgens um 6 Uhr, blickt aus dem Fenster und schreit: „Mami ufstah, es isch e schöne Tag!“ Dabei kann es aus Kübeln giessen oder Waschlappen schneien.

Kaum am Frühstückstisch die nächste Hürde: Goja möchte am liebsten nur Schokopulver essen statt Butterbrot und etwas Milch mit wenig Schokopulver. Ist dieser Kampf überstanden, geht’s ans Anziehen. Die obligate Antwort darauf: „Nei Mami, i ha grad no nid Zyt.“ Selbstverständlich neigt der junge Mann dazu, die Prozedur dann über sich ergehen zu lassen ohne dabei Hilfe zu leisten. Auch die Windeln müssen noch gewechselt werden. Der Herr macht zwar hie und da aufs Häfi – im Zweifelsfall aber lässt er seinen Körperflüssigkeiten freien Lauf – weil, wie er sagt, ihm auch hier die Zeit fehle, um die Toilette aufzusuchen.

Sie werden sich fragen, was das Kind denn die ganze Zeit tut. Nun, natürlich hilft er mir Katzen, Hasen und Hund füttern, natürlich düst er gerne mit dem Staubsauger durchs Haus, natürlich spielt er ab und zu ganz ordentlich in seinem Zimmer, hilft mir beim Kochen, beim Aufräumen und so weiter.

Natürlich hühnern wir gemeinsam mit dem Hund Ewigkeiten durch den Wald, kaufen ein (und kämpfen die ganz alltäglichen Supermarkt-Kämpfe), besuchen Leute, unternehmen Ausflüge.

Aber natürlich würde der Kerl am liebsten auch einfach stundenlang vor der Glotze sitzen. Mein Wissen, dass er in seinem Alter nicht mehr als eine halbe Stunde verträgt, ist aber (in der Theorie) vorhanden und so führen mein Sohn und ich Endlosdiskussionen über Sinn und Unsinn der Flimmerkiste, einigen uns halbherzig darauf, dass diese erst eingeschaltet werden darf, wenn es draussen dunkel wird und der Sandmann vorbeischaut.

Ja, und ist solch ein Tag dann endlich überstanden, falle ich meist todmüde ins Bett. Und irgendwann, mitten in der Nacht, gesellt sich auch der Junior dazu. Nicht einmal das habe ich Griff! Dabei wäre Erziehung so kinderleicht. Man bräuchte nur die Theorie in die Praxis umzusetzen!

Letzte Aktualisierung: 11.08.2016, VZ