Die deutsche Welle


Gewiss, unser Sohn ist vorbelastet. Zumindest im Bezug auf Bücher. Pepe, einst Buchhändler, kommt grundsätzlich an keinem hübschen Kinderbuch vorbei, ohne an seinen Sohn zu denken. Und auch mein Tagesrhythmus wird in gewisser Weise von Büchern bestimmt. Wen wundert es da, dass unser Junior bereits jetzt über eine Bibliothek verfügt, die manch eine Schulbücherei aussticht.

Und es werden immer mehr, denn auch Pepes Töchter – mit einer Buchhändler-Mutter gesegnet, meine lesesüchtigen Kolleginnen und Geschwister schenken Goja Bücher über Bücher. Das ist schön. Nur: Die Bücher sind allesamt in Hochdeutsch abgefasst. 

Und seit Goja ein paar Ferientage in der Gesellschaft von vorwiegend deutschen Kindern verbracht hat, im Dorf ein deutscher Pfarrer tätig ist und eine deutsche Kollegin in die Nähe gezogen ist, meint der kleine Mann, auch er müsse unseren Emmentaler Dialekt verschmähen und sich „gepflegt“ ausdrücken. Ganz besonders dann, wenn sein Gesagtes von grosser Wichtigkeit ist.

Neulich, als ich ihm eines seiner Bücher erzählen wollte, hat er gesagt: „Nein Goja-Mami, das ischt eben falsch.“ Ich stutzte. „Du söusch mir das Buch vorzeue“, erklärte er. Nach einiger Zeit verstand ich: Ich durfte nicht erzählen – ich musste vorlesen.

Seither besteht er darauf. Den Wortschatz, den er sich da aneignet, setzt er jeweils mit wichtigem Getue im Alltag ein. Auf der Strasse: „Mami, du muesch in diese Richtung fahren, links!“ Und Pepe, beruflich grad einen Ausflug nach Berlin hinter sich, ist „mit dem Flugzeug adé gegangen“.

Kürzlich, da sagte ich meinem Sohn, dass ich abends, wenn er von der Hütefrau retour komme, eine Überraschung für ihn hätte. Ich meinte damit seinen neuen, drehbaren, bunten „Bürostuhl“. Leider klappten die Lieferung, respektive die Montage nicht wie geplant und abends, als der Sohn todmüde nach Hause kam, lag in seinem Zimmer bloss eine Kiste mit unzähligen Einzelteilen. Aus dem Halbschlaf heraus schrie er plötzlich: „Mami, wo Überraschung, Mami, wo?“ Ich erklärte ihm die missliche Situation und versprach, dass sein Onkel noch in den nächsten Stunden kommen und die Teile zusammensetzen werde.

Kurz darauf klingelte es an unserer Tür. Goja, erneut aus dem Halbschlaf aufgeschreckt, nahm einen Satz aus dem Bett, donnerte die Treppen hinunter und schrie: „Juhui, Unggle Wauti, mein bester Freund!“

Ich habe die von ihm zitierte Stelle später in einem seiner Bücher ausfindig gemacht.

Letzte Aktualisierung: 11.08.2016, VZ