Ängste über Ängste


 Früher, da nannte man mich oft das „unbekümmerte Vreneli“. Zurecht. Zumindest gegen aussen wirkte ich jahrelang gelassen, manchmal etwas unbedarft und eben auch unbekümmert. Da gab es nichts, was mir wirklich Sorgen machte, da waren keine substanziellen Ängste. Vor etwas mehr als vier Jahren – ja, das hat schon in der Schwangerschaft angefangen – tauchten plötzlich Ängste auf, bohrten sich in meine Seele, zerbrachen mir den Kopf. 

Das Kind in meinem Bauch machte alles anders. Und seit das Kind auf der Welt ist und wächst und gedeiht, gedeihen auch die Ängste! Angst davor, etwas falsch zu machen, dem Kindlein nicht den richtigen Weg zu bahnen. Angst davor, dem Kind könnte etwas zustossen, Angst, etwas zu verpassen.

Und je älter das Kind wird, je größer stufe ich die Gefahren ein. Mein kleiner Mann lotet Grenzen nahe am Abgrund aus. Das ist wichtig für seine Entwicklung, aber schädlich für meine Nerven. Gerade eben hat er ein riesiges Horn auf der Stirn, eine gestauchte Nase. Er hat etwas Verbotenes aus dem Kasten geholt, eine alte Uhr, welche auf dem obersten Regal darauf wartete, endlich aufgehängt zu werden. Kaum war ich am Telefonieren, kletterte Junior auf einen Stuhl, griff nach dem schweren alten Teil und schwups, fiel es ihm auf den Kopf. Ich darf gar nicht daran denken, was noch hätte passieren können. Und einmal mehr danke ich den zahlreichen Schutzengeln, welche mein Sohn tagtäglich auf Trab hält.

Ehrlich gesagt, das hätte ich mir nie träumen lassen, dass man plötzlich so zum Angsthasen werden kann. Natürlich reisse ich mich zusammen, es wäre für den Buben ja nicht zum aushalten, wenn Mami aus lauter Angst ständig jede Bewegung kontrollieren würde. Aber innerlich, da brodelt es. Da nützen auch die Aussagen meiner Freunde wenig. Auch sie sind Eltern und bekräftigen, was ich fühle: „Angst, das ist normal, damit lebt man als Vater und Mutter. Das hört nie auf!“

Und plötzlich kommt mir wieder in den Sinn, wie wir Kinder jeweils unsere besorgte Mutter verspottet haben. Wir, ungestüm und voller Tatendrang, sie immer in Sorge. Und oft haben wir ihr gesagt: „Du wirst wohl erst beruhigt schlafen, wenn auch die Jüngste im Altersheim ist.“

Erst jetzt, da ich selber Mutter bin, kann ich die Frau verstehen – nicht zuletzt darum, weil sie eines ihrer geliebten Kinder durch einen Unfall verloren hat.

Nun, wenigstens bin ich nicht alleine mit meiner Angst. Auch mein Sohn hat Ängste. Die sind aber ganz anderer Natur und dienen meist dem Zweck, sich in mein Bett zu stehlen. Seit geraumer Zeit – und das passt in die Entwicklung – ortet er Monster unter seinem Bett, Hexen im Garten und Ungeheuer auf dem Dachboden. Ich habe mal gelesen, dass man die Ängste der Kinder ernst nehmen soll. Und auch wenn das gegen jegliche vernünftige Erziehung verstösst: Manchmal bin ich einfach froh, wenn mein Sohn an mich gekuschelt friedlich schlummert. Denn es sind die wenigen Momente, in denen auch ich wieder zum „unbekümmerten Vreneli“ werden kann.

Letzte Aktualisierung: 11.08.2016, VZ