Komm doch, lie­ber Früh­ling! 


Ich gebe es zu: ich bin kein Win­ter­fan. Das war frü­her an­ders. Als Kind saus­ten wir ta­ge­lang mit dem Schlit­ten die ver­schnei­ten Hü­gel run­ter, lie­fen auf dem zu­ge­fro­re­nen Bäch­lein Schlitt­schuh, bau­ten Schnee­män­ner und Sprung­schan­zen, fuh­ren wag­hal­si­ge Ski­ren­nen und leg­ten uns in den Schnee, um En­gel zu zeich­nen, la­sen Tier­spu­ren im ver­schnei­ten Win­ter­wald. Es war ir­gend­wie pa­ra­die­sisch.

Doch heu­te, zu­neh­mend ängst­lich, wenn es dar­um geht, mit dem Auto auf rut­schi­gen Stras­sen un­ter­wegs zu sein und zu­neh­mend weh­lei­dig, wenn ich an die Käl­te muss, ja, heu­te, da mag ich den Win­ter nicht mehr. Das ist scha­de! Denn mit mei­ner Ab­nei­gung be­ein­flus­se ich Goja, auch wenn ich das gar nicht möch­te. Auch er ist mitt­ler­wei­le schon win­ter­faul, ist nur mit Mühe zu mo­ti­vie­ren, die Win­ter­klei­der an­zu­zie­hen und mit dem Schlit­ten aus­zu­rü­cken. Kommt dazu, dass die­ser Win­ter un­ge­wohnt hart und kalt ist, dass die Grip­pe­wel­le auch Trub­schach­en er­fasst hat und sich ge­nüss­lich aus­brei­tet.

Bis jetzt hat­te ich Glück mit Goja. Mal eine Er­käl­tung, ja, das schon. Und ab und zu er­bre­chen. Aber da ist er zum Glück wie Pepe. Er lässt es ein­fach flut­schen und sau­sen, ohne Auf­he­bens. Ich da­ge­gen kämp­fe mit al­len Mit­teln da­ge­gen, weh­re mich, ver­klem­me, wer­de na­he­zu hys­te­risch und pa­nisch.

Und jetzt das: Goja ist so rich­tig er­krankt. Das ers­te Mal in sei­nem Le­ben habe ich mir ernst­haf­te Sor­gen ge­macht, das ers­te Mal in sei­nem Le­ben spürt man nach der Tor­tur der Grip­pe sei­ne Rip­pen. Bei die­sem Jun­gen, der schon kom­pakt auf die Welt ge­kom­men ist, der sonst so ger­ne isst. Da liegt er seit mehr als ei­ner Wo­che ein­fach ta­ge­lang flach, isst nichts, trinkt kaum – und wenn, dann spuckt er al­les wie­der aus. Ge­schüt­telt von furcht­ba­ren Hus­ten- und Fie­ber­an­fäl­len, die Nase voll Rotz. Und mit je­der Nacht, in der das so geht, wer­de auch ich emp­find­li­cher. Nein, nicht di­rekt krank, das we­nigs­tens nicht. Aber un­end­lich müde und fast ein we­nig de­pres­siv. Kommt dazu, dass Goja in die­sem Zu­stand nicht in den Kin­der­gar­ten kann. Zwei Tage, die mir wie­der­um feh­len, um mei­ne Ar­bei­ten zu er­le­di­gen. Es ist rich­tig ver­flucht – und wir bei­de, mein Sohn und ich, sind arme Schwei­ne! Und hier, an die­ser Stel­le, bit­te ich um ei­nen Hauch Mit­leid!

Und jetzt erst­mals eine klei­ne Bes­se­rung, draus­sen Son­nen­schein. Ich ver­such­te mei­nen Sohn zu über­re­den, eine Stun­de in den Wald zu ge­hen, an die Son­ne zu ho­cken, ein we­nig zu spie­len. Ein­fach raus aus un­se­rer ver­seuch­ten Höh­le. Goja aber schaut mich gross an und sagt: „Ach, Mami, lass uns im Som­mer spa­zie­ren ge­hen.“

Som­mer, was für ein Wort! Wär­me, Un­be­schwert­heit, Ba­de­wet­ter, La­ger­feu­er­stim­mung an der Emme. Ein­fach toll. Ich aber wür­de mich schon mit dem Früh­ling zu­frie­den ge­ben, mit ein paar Grad wär­me­ren Tem­pe­ra­tu­ren, mit Vo­gel­ge­zwit­scher und bun­ten Blü­ten. Ja, wir war­ten sehn­süch­tig auf den Früh­ling. Weil wir die­sen Win­ter ein­fach satt ha­ben!

Letzte Aktualisierung: 11.08.2016, VZ