Vom Paar zur Fa­mi­lie

In­ter­view mit Ma­ri­on Sont­heim

Eltern mit ihrem Baby
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swiss­mom: Kün­digt sich ein Kind an, be­ginnt aus ei­nem Paar eine Fa­mi­lie zu wer­den. Was emp­feh­len Sie wer­den­den El­tern ne­ben Ge­burts­vor­be­rei­tungs­kur­sen?

Ma­ri­on Sont­heim: Es ist er­staun­lich, dass wir uns an so vie­len Aben­den auf die Ge­burt un­se­res Kin­des vor­be­rei­ten (was ich üb­ri­gens sehr gut so fin­de), aber auf die lan­ge Zeit da­nach über­haupt nicht. Des­halb emp­feh­le ich wer­den­den El­tern auch eine Fa­mi­li­en­vor­be­rei­tung, wie sie in Skan­di­na­vi­en üb­lich ist. Das Di­lem­ma be­steht dar­in, dass El­tern mit Ba­bys und Klein­kin­dern fast ge­schlos­sen sa­gen: „Wenn wir uns da­mit schon vor der Ge­burt aus­ein­an­der­ge­setzt hät­ten! Wir hät­ten die ers­te Zeit viel mehr ge­nies­sen kön­nen und es uns so viel leich­ter ge­macht.“ Es wird ver­mut­lich noch ei­ni­ge Zeit dau­ern, bis die Fa­mi­li­en­vor­be­rei­tung auch bei uns so üb­lich ist wie Ge­burts­vor­be­rei­tungs­kur­se. Dass es aber dazu kommt, da­von bin ich über­zeugt.

Zur Per­son

Marion Sontheimklein

Marion Sontheim ist Mutter, diplomierte Spielgruppenleiterin und familylab-Seminarleiterin. Auf der Grundlage von Jesper Juul begleitet sie Eltern und werdende Eltern dabei, ihre eigenen „inneren Eltern“ zu finden.

swiss­mom: Wie be­rei­ten Sie Paa­re auf das El­tern­sein vor?

Ma­ri­on Sont­heim: Im Vor­der­grund steht die Er­kennt­nis, dass man El­tern­sein nicht ein­fach vor­ab ler­nen kann. Viel­mehr geht es mir dar­um, Paa­re an die Aus­ein­an­der­set­zung mit sich selbst und mit ih­rer neu­en Rol­le als El­tern her­an­zu­füh­ren. Wel­che Wer­te sol­len in un­se­rer Fa­mi­lie gel­ten? Wie stel­le ich mir dich als Va­ter / als Mut­ter vor? Was möch­ten wir aus un­se­ren Her­kunfts­fa­mi­li­en in un­se­re neue Fa­mi­lie über­neh­men und was möch­ten wir los­las­sen? Da­mit wird eine Art Ma­trix ge­schaf­fen für all die vie­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die auf Paa­re war­ten, wenn sie El­tern wer­den. Ich kann El­tern nie­mals vor den vie­len Über­ra­schun­gen, die nach der Ge­burt auf sie war­ten, be­wah­ren, und das möch­te ich auch nicht. Ich stel­le mir das Paar lie­ber als Ka­pi­tä­ne ei­nes mäch­ti­gen Schif­fes vor. Es wird auf ih­rer Fahrt si­cher stür­misch wer­den von Zeit zu Zeit. Ich möch­te ih­nen in der Fa­mi­li­en­vor­be­rei­tung eine Kar­te ge­ben, auf der sie im­mer wie­der ei­nen Ha­fen fin­den, um Pro­vi­ant zu be­sor­gen, zu tan­ken und sich vom See­gang zu er­ho­len.

swiss­mom: Mit der Ge­burt ei­nes Kin­des tritt die Paar­be­zie­hung meist in den Hin­ter­grund. Was müs­sen El­tern tun, da­mit dies nicht so bleibt?

Ma­ri­on Sont­heim: Sie soll­ten sich vor al­lem erst ein­mal be­wusst ma­chen, wie un­glaub­lich wert­voll eine ge­sun­de Paar­be­zie­hung für ihr Kind ist! Ich er­le­be El­tern, die so sehr da­mit be­schäf­tigt sind, das Bes­te für ihr Kind zu tun, dass sie sich selbst und ihre Part­ner­schaft völ­lig aus dem Auge ver­lie­ren. Da­bei über­se­hen sie, wie un­be­zahl­bar es für ein Kind ist, El­tern zu er­le­ben, die für ihre ei­ge­nen Be­dürf­nis­se Sor­ge tra­gen. An ih­ren El­tern zu se­hen, wie man als Paar zu­sam­men le­ben, sich lie­ben, sich strei­ten und ver­söh­nen kann, wie es mög­lich ist, wü­tend zu sein, und trotz­dem fair zu blei­ben. In dem Mo­ment, in dem El­tern er­kannt ha­ben, dass ihr Zu­sam­men­spiel Herz und Nah­rung der Fa­mi­lie ist, geht es ei­gent­lich nur noch um den prak­ti­schen Teil, also Ba­by­sit­terOma, etc. Das ist er­fah­rungs­ge­mäss aber das kleins­te Pro­blem.

swiss­mom: Wel­ches sind die häu­figs­ten Pro­ble­me, die zu ei­ner Be­zie­hungs­kri­se füh­ren kön­nen? Was sol­len Paa­re tun, um dies zu ver­mei­den?

Ma­ri­on Sont­heim: Wahr­schein­lich ist die gröss­te Ge­fahr, dass man den Kon­takt zum Part­ner ver­liert. Vie­le Paa­re ha­ben viel mehr Angst vor Kon­flik­ten als vor Re­si­gna­ti­on. Kon­flik­te sind aber ein wert­vol­ler Be­stand­teil al­ler zwi­schen­mensch­li­chen Be­zie­hun­gen. Wenn dann ein gleich­wür­di­ger Aus­tausch be­ginnt, der von ge­gen­sei­ti­ger Neu­gier und In­ter­es­se ge­prägt ist, dann ist je­der Kon­flikt eine Mög­lich­keit, um an­ein­an­der zu wach­sen. Ich habe kürz­lich nach ei­nem El­tern­se­mi­nar eine Rück­mel­dung von ei­nem Paar mit drei Kin­dern er­hal­ten, die mir sag­ten: „Nach dem Se­mi­nar sind wir nach Hau­se ge­fah­ren, ha­ben ein paar Glä­ser Wein ge­trun­ken und ge­re­det bis die Son­ne auf­ging. Der nächs­te Tag mit den Kin­dern war hart, aber wir wa­ren uns schon seit Jah­ren nicht mehr so nahe." Mit­ein­an­der re­den – dass man das so oft hört, macht es nicht we­ni­ger wahr. Noch wich­ti­ger: Sich zu­hö­ren. Das kann man üb­ri­gens ler­nen!

swiss­mom: El­tern sein stellt nach Je­sper Juul ei­nen le­bens­lan­gen Pro­zess dar, der im täg­li­chen Zu­sam­men­spiel zwi­schen El­tern und Kind wächst. Wel­che Wege füh­ren dort­hin?

Ma­ri­on Sont­heim: Die­ser Pro­zess läuft ja au­to­ma­tisch ab, wir kön­nen nur ent­schei­den, in wel­che Rich­tung er ge­hen soll. Da­bei macht es mich re­gel­recht trau­rig, dass so vie­le El­tern­rat­ge­ber und Er­zie­hungs­me­tho­den dar­auf ab­zie­len, El­tern Werk­zeu­ge an die Hand zu ge­ben, da­mit ihre Kin­der best­mög­lich funk­tio­nie­ren. Es wäre mei­ner Mei­nung nach sehr viel frucht­ba­rer, wenn wir uns dar­über Ge­dan­ken mach­ten: Was will ich für mein Kind, wenn es ein­mal er­wach­sen ist? Wel­che Qua­li­tät soll die Be­zie­hung zu mei­nem Kind ha­ben? Das täg­li­che Zu­sam­men­spiel mit den ei­ge­nen Kin­dern kann ei­nen fan­tas­ti­schen Pro­zess des Wachs­tums in Gang set­zen.

swiss­mom: Wel­che Wün­sche sol­len El­tern for­mu­lie­ren, um ein fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben mit Kind und Part­ner zu füh­ren?

Ma­ri­on Sont­heim: Am bes­ten nicht den Wunsch, fried­lich zu­sam­men­zu­le­ben! Für ein so­ge­nann­tes fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben muss man viel­leicht erst ein­mal ak­zep­tie­ren, dass Kon­flik­te not­wen­dig und wert­voll sind. Ich den­ke, den bes­ten Frie­den kann man ge­mein­sam fin­den, wenn man nie­mals ver­gisst, dass die Re­ak­tio­nen der Kin­der im­mer Sinn ma­chen - auch wenn wir ihn im Mo­ment beim bes­ten Wil­len nicht ent­de­cken kön­nen. Wenn wir als El­tern die Ver­ant­wor­tung für die Qua­li­tät der Be­zie­hun­gen über­neh­men (denn das kön­nen Kin­der nicht), ist ein gu­tes Fun­da­ment ge­legt. 

swiss­mom: Trot­zen, Gren­zen tes­ten, Wut und Ohn­macht, die­se Ge­füh­le sind uns mit Kin­dern oft ver­traut. Wo kön­nen sich El­tern prak­ti­sche Rat­schlä­ge ho­len, um im Er­zie­hungs­all­tag ge­stärkt und lie­be­voll mit Kin­dern zu­sam­men zu le­ben?

Ma­ri­on Sont­heim: Es gibt heut­zu­ta­ge mehr Er­zie­hungs­ratge­ber und An­ge­bo­te zur El­tern­bil­dung als je zu­vor und da­bei muss je­der das rich­ti­ge für sich fin­den, das ist gar nicht so ein­fach. Je­sper Juul hat hier­für fa­mi­ly­lab, eine in­ter­na­tio­na­le Or­ga­ni­sa­ti­on, ins Le­ben ge­ru­fen. Mich fas­zi­niert an der Ar­beit für fa­mi­ly­lab ganz be­son­ders, dass wir nie­mals ir­gend­wel­che Er­zie­hungs­me­tho­den ver­brei­ten, son­dern El­tern, die zu uns kom­men, in­spi­rie­ren, ih­ren ei­ge­nen Weg in der Er­zie­hung ih­rer Kin­der zu fin­den, ihre in­ne­ren El­tern, so­zu­sa­gen. Und als Grund­la­ge da­für die­nen uns eben sei­ne Per­spek­ti­ven.

swiss­mom: Ist es wich­tig, dass El­tern am sel­ben Strick zie­hen? 

Ma­ri­on Sont­heim:  Das ist eine sehr span­nen­de Fra­ge. Die For­de­rungEl­tern müss­ten sich doch ei­nig sein, stammt aus ei­ner Zeit, in der Er­zie­hung noch als ein stän­di­ger Macht­kampf ge­gen die Brut war, aus der man erst noch rich­ti­ge Men­schen ma­chen muss­te. Gott sei Dank wis­sen wir heu­te, dass die­se stän­di­ge Ei­nig­keit völ­lig un­nö­tig ist. Es ist für alle in der Fa­mi­lie ein Se­gen, wenn El­tern sich ei­nig sind in der De­fi­ni­ti­on ih­rer Wer­te. Wer­den Ent­schei­dun­gen von bei­den El­tern auf Grund die­ser Wer­te ge­trof­fen, sind sie in sich stim­mig, also kon­sis­tent. Aber es ist doch ab­so­lut irr­wit­zig sei­nem Kind zu er­zäh­len: „Wir alle sind In­di­vi­du­en. Je­der Mensch ist ein­zig­ar­tig, hat sei­ne ei­ge­nen Wün­sche, Be­dürf­nis­se, Lau­nen. Nur die bei­den Ali­ens zu Hau­se, die sind sich im­mer ei­nig!“ Mich wür­de das skep­tisch ma­chen….

swiss­mom: Wel­che Grund­stei­ne sind wich­tig, um eine kom­pe­ten­te Fa­mi­lie zu sein?

Ma­ri­on Sont­heim:  Die Grund­stei­ne, die uns hel­fen, un­se­re lie­be­vol­len Ge­füh­le in lie­be­vol­les Ver­hal­ten zu ver­wan­deln – das sind für mich Fa­mi­li­en­wer­te wie z. B. Gleich­wür­dig­keit, eine kla­re el­ter­li­che Füh­rung und je­den Tag die Neu­gier: „Wer bist du heu­te?“ 

El­tern soll­ten bit­te nicht per­fekt sein. Aber echt! 

Kon­takt, wei­te­re In­for­ma­tio­nen und Ter­mi­ne un­ter www.zu­sam­men-wach­sen.ch

Letzte Aktualisierung: 13.05.2020, BH

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