Starr vor Kälte – und Wut!


Es ist früh am Morgen. Ich liege in einem breiten Hotelbett, irgendwo im Tiroler Lechtal. Klein Goja klettert aus seinem Gitterbett und gesellt sich zu mir. Wir plaudern, blödeln, schauen uns mit verschlafenen Augen an. Ich denke: Ach, wie schön ist das Leben! Was hab ich für ein süsses, goldiges Kind!

Minuten später bin ich so wütend auf den Kerl, dass ich ihn an die Wand klatschen könnte! So schnell können Stimmungen und Gefühle ändern. Aber der Reihe nach:

Wir sind also in diesem fantastischen Tiroler Familien- und Wellnesshotel – Pepes Grosszügigkeit sei Dank. Am ersten Morgen, eben diesem Morgen, stehe ich auf, schlurfe in Nachthemd und Badelatschen auf den Balkon, um ein erstes Mal richtig sehen zu können, wo wir unsere nächsten Tagen verbringen werden. Es ist kalt, später vernehme ich, dass es gut und gerne minus 15 Grad gewesen sind.

Ich husche also auf den Balkon. Goja, offenbar akut vom Teufel geritten, eilt mir nach – und sperrt die Balkontür hinter mir zu. Ich kann durchs Fenster sehen, wie er das Fernsehgerät einschaltet, wie er mein Handy nimmt und fiktive Gespräche führt. (Später wird er mir sagen, dass er ein Feuerwehrauto mit Leiter gerufen habe.)

Ich rede von draussen auf ihn ein, flehe, poche, weine, tobe, poltere. Eine knappe halbe Stunde vergeht, aber mein Sohn lässt sich nicht erweichen, entschwindet stattdessen ins Badezimmer.

Doch dann nähert er sich der Balkontür. Ein Hoffnungsschimmer wärmt mich für einen Sekundenbruchteil. Doch von Rettung kann keine Rede sein. Mein Sohn, durch mein ständiges Reden und Poltern wohl genervt, schliesst die Vorhänge. Und weg ist er. Was sich von nun an im Zimmer abspielt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich beuge mich über den Balkon, halte Ausschau nach einer Menschenseele. Endlich naht eine Passantin. Ich schreie runter: „Hallo, Sie, ich bin ausgesperrt, hier oben, im dritten Stock!“ Die Frau reagiert, erkundigt sich nach der Zimmernummer und eilt ins Hotel. Minuten später steht sie wieder draussen: „Es kommt jemand, einen schönen Tag noch!“ Dass sie dabei frech grinst, ignoriere ich. Ich horche. Tatsächlich, an der Zimmertür poltert es. Aber ach, die ist ja auch verschlossen – und der Schlüssel steckt!

Ich bin der Verzweiflung nahe. Was jetzt? Was wird die Person von der Reception unternehmen? Ich kundschafte aus, ob ich trotz fortschreitender Starre und Badelatschen über den Balkon klettern könnte. Aber wohin? Wozu?

Dann endlich, der Vorhang bewegt sich. Goja, durch das Poltern an den beiden Türen jetzt sichtlich irritiert, sperrt auf. Ich springe wie eine Furie ins Zimmer, schimpfe und schlottre. Schliesse die andere Tür auf. Wären nicht die Frau von der Reception und weitere Schaulustige im Gang versammelt, ich würde meinem Sohn eine richtige Ohrfeige verpassen. Die erste in seinem Leben. Ich lass es bleiben. Bringe ihn stattdessen in den hoteleigenen Kinderhort und lege mich für gut zwei Stunden in die Sauna – zum Auftauen!

P.S. Der Rest der Ferien ist harmonisch verlaufen. Denn mein Sohn ist eben doch ein Goldjunge!

Letzte Aktualisierung: 11.08.2016, VZ