Glaubenszwist am Kinderbett


Ich erachte es als meine Pflicht, mit meinem Kind zu singen. Und zu beten. Das hat meine Mutter mit mir auch getan und erstaunlicherweise erinnere ich mich noch oft daran, obwohl mein Langzeitgedächtnis ziemlich löchrig ist.

Nun, auf jeden Fall habe ich Goja schon früh mit meinen Singkünsten unterhalten. Er hat es zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass er lieber ein Stück Schoggi hätte als Bettmümpfeli als mein Gesumme. Trotzdem habe ich unbeirrt weiter geträllert und eines Abends, als ich den Eindruck hatte, dass er jetzt gross genug sei, habe ich auch zu beten begonnen. Dazu ist noch zu sagen, dass Pepe (Katholik) und ich (Reformierte) uns nicht so ganz einig sind, was „richtig“ beten heisst. Mit anderen Worten: DAS Gebet beginnt für Pepe mit „Vater unser“, ich aber bete „Unser Vater“. Und ich war überzeugt, dass diese Tatsache dem Kind nicht schadet. Pepe aber schüttelte nachdenklich den Kopf und sagte: „Nun, ihr Reformierten könnt es einfach nicht besser!“ Und erklärte sich sodann zum obersten Vorbeter.

Man merkt, das ist ein heikles Thema. Darum wende ich mich sofort wieder unserem Sohn zu, der mich eines Morgens, als er in mein Zimmer geschlichen kam, ziemlich überrascht hat: Er setzte sich neben mich, nahm in Fingervers-Manier (auch das tun wir hin und wieder), seine kleinen Fingerchen und begann mit leisem Singsang beim Daumen: „Das Goja-Papi, das Etet, das Anna, das Emi u das chlyni, chlyni Goja! Amen!“ Danach legte er sich hin und schlief ein. Ich war ziemlich baff. Einerseits über die Kombination aus Papi, Schwestern und sich selber. Nachdenklich suchte ich nach der Begründung, warum ich, das Mami, nicht miteinbezogen worden war – und kam zum Schluss, dass es daran liegen muss, dass ich die einzige „Nicht-Richtig-Betende“ bin. Andrerseits wurde mir aber auch klar, dass Goja mir in der Vergangenheit trotz demonstrativem Desinteresse offenbar gut zugehört hatte.

Und seit diesem Tag hat sich noch etwas verändert: Bringe ich den kleinen Hanswurst ins Bett und leire nicht sodann alles herunter, was er gewohnt ist, so sagt er schulmeisterhaft: „Goja-Mami, no singe!“ Und im Nu zählt er alle ihm bekannten Lieder auf. Danach legt er sich hin, faltet seine Hände, brummt eine „I ghöre es Glöggli“-Version. Dann, insbesondere nach längeren Aufenthalten bei Pepe, leiert er unheimlich schnell was Unverständliches. Was ich übrigens erst als sein „Vater unser“ erkannt habe, als er sich auch noch umständlich an die Stirn getippt und bekreuzigt hat! (Es hat mir fast mein protestantisches Herz zerrissen!) Erst dann befiehlt er: „Goja-Mami, du bäte!“

So ist Goja für mich der lebende Beweis, dass die in der Theorie so viel gepriesenen Rituale für Kinder unheimlich wichtig sind. Egal, ob katholisch oder reformiert geprägt!

Letzte Aktualisierung: 11.08.2016, VZ