Lauf einfach los! - Oder eben doch nicht so einfach?

Wie der (Wieder-)Einstieg ins Laufen nach einer Schwangerschaft gelingt. Ein Gastbeitrag von Sandra Baumgartner, rund8fit

Wir von rund8fit.ch werden immer wieder gefragt: "Wie und wann laufe ich nach einer Schwangerschaft wieder los?" Eine an sich einfache Frage, die ich unserer Expertin Stefanie Meyer gestellt habe. Erfahren habe ich so einiges, das auch mir damals vieles erleichtert hätte.

Seit dem positiven Schwangerschaftstest waren kaum ein paar Tage vergangen, da entdeckte ich an einer grossen Sportartikelmesse mein Traumgefährt: Einen Multisport-Kinderwagen! Ich sah mich schon das natürlich ausschliesslich zufriedene Kind vor mich hinschiebend die gewohnte wöchentliche Kilometeranzahl abspulen. In meiner Vorstellung würde mein Hobby, das Laufen, ähnlich einfach vonstatten gehen wie vor der Schwangerschaft (noch mehr "Haha"). Dank diesem Wunderding, diesem eben erspähten Kinderwagen (mein heutiges "Ich" schüttelt nur noch den Kopf).

Dass es nach fast 40 Wochen Schwangerschaft und einer Geburt mehr brauchen würde für den Wiedereinstieg ins Laufen als technische Hilfsmittel, war mir damals nicht bewusst. Oder wollte ich das nicht wahrhaben? Auf jeden Fall stand ich nach jeder meiner drei Schwangerschaften da und realisierte: "Mein Körper ist ein anderer als vorher." Einfach locker drauflos laufen: unvorstellbar. Aber wann und vor allem wie läuft Frau nach der Schwangerschaft und Geburt wieder los?

Kurzer Ausflug zurück in die Kugel-Zeit


Weshalb gestaltete sich damals bei mir der Wiedereinstieg in den Laufsport überhaupt so anders, als dass ich es mir hätte vorstellen können? Welche massgebenden Veränderungen hat mein Körper während der Schwangerschaft erfahren und beeinflussten nun - doch eine gute Zeit nach der Geburt - immer noch mein Körpergefühl?

"Der Körper durchläuft gerade während einer Schwangerschaft grosse Veränderungen, welche sich auch noch in die Zeit nach der Schwangerschaft hineinziehen", so die Sportwissenschaftlerin, Prä- und Postnatal-Expertin und bald dreifache Mutter, Stefanie Meyer von rund8fit. "Der Beckenboden wurde durch die Schwangerschaft und die Geburt stark beansprucht und es kann Monate dauern, bis dieser wieder voll belastbar ist. Die Gebärmutter bildet sich nach der Geburt relativ schnell wieder auf ihre Ausgangsgrösse zurück. Die Bänder, welche die Gebärmutter in Position halten, brauchen jedoch einiges länger für die Rückbildung. So hat die Gebärmutter viel mehr Spielraum, was natürlich bei High Impact-Belastungen problematisch sein kann. Ebenfalls wurden die Bauchmuskeln stark gedehnt, was sich unter anderem auf die Haltung auswirkt. Die Schwangerschaftshormone lockern Sehnen und Bänder über die Schwangerschaft hinaus, besonders wenn frau stillt. Dies führt oft zu Instabilität. Die Schwangerschaftskilos verschwinden meistens nicht sofort, was ganz normal ist, und die zusätzlichen Kilos setzen dem Bewegungsapparat beim Laufen zusätzlich zu."

Weiter gibt Stefanie Meyer zu bedenken, dass beim Laufen durch die Bodenreaktionskraft eine Belastung für den Bewegungsapparat und besonders auch für die Körpermitte entsteht - und auch für den Beckenboden. Deshalb sei es wichtig, nicht einfach loszulaufen, sondern mit dem nötigen Wissen und einem sinnvollen Aufbau zu starten.

Die Frage nach dem Wann


Aber wann wäre ich denn damals idealerweise losgelaufen? Hätte ich einfach länger zuwarten sollen? "So einfach ist es nicht. Denn auf die Frage nach dem Wann gibt es keine nützliche Standardantwort mit einer korrekten Zeitangabe", meint Stefanie Meyer. Oft werde von Frauenärztinnen geraten, sechs bis neun Monate abzuwarten, bis nach einer Geburt wieder mit High Impact-Sportarten begonnen werden kann. Denn so lange braucht der Beckenboden in etwa, bis er sich von Schwangerschaft und Geburt erholt hat. Doch die Voraussetzung bei jeder Neu-Mama sind anders, weshalb es nicht den idealen Zeitpunkt für die Wiederaufnahme des Lauftrainings gebe. Beispielsweise beginnen routinierte Läuferinnen oftmals bereits kurz nach der Rückbildung wieder mit dem Laufen. "Aus meiner Erfahrung kann ich bezüglich des Zeitpunktes besonders den einen Tipp geben: Habt Geduld", rät die Expertin. "Oftmals werden die Laufschuhe zu früh geschnürt. Das kann kurz- oder längerfristige Probleme wie Ermüdungsbrüche oder Inkontinenz zur Folge haben." 

Tipps

  • Vor den ersten Laufschritten nach einer Schwangerschaft sollte auf jeden Fall ein Rückbildungsprogramm abgeschlossen sein, z. B. online bei rund8fit: Starke Mitte - deine Online Rückbildung.
  • Vor dem Einstieg ist ein Besuch bei einer auf den Beckenboden spezialisierten Physiotherapeutin empfehlenswert, auch wenn im Alltag keine Beschwerden auftreten. Gerade bei Frauen, die eher früh wieder mit dem Laufen starten, ist ein Check ratsam. Dies gilt natürlich auch für andere Sportarten.

Die Frage nach dem Wie


Ok, gut. Das habe ich nun verstanden: Ich lief nicht einfach zum falschen Zeitpunkt los, sondern vielmehr war meine beanspruchte Körpermitte damals noch nicht bereit für die Belastungen durchs Laufen. Mein Beckenboden und meine Bauchmuskeln hatten sich noch nicht genügend von den Strapazen der letzten Monate erholt. Doch wie hätte ich mich besser auf den Laufstart vorbereiten können? Und wie hätte ich mir sicher sein können, dass sich mein Körper nun genauso wie ich über die sportliche Beanspruchung freut?

Stefanie Meyer, selbst routinierte Läuferin und Mutter, hat sich mit dieser Thematik grundlegend auseinandergesetzt. "Die Frage nach dem Wie ist hinsichtlich des (Wieder-)Einstiegs in den Laufsport konkreter zu beantworten. Da die Kräfte beim Laufen auf den Körper höher sind, ist es wichtig, den Körper auch auf diese vorzubereiten. Wir empfehlen deshalb vor dem Laufeinstieg den Körper mit entsprechenden Kraftübungen mit dem Eigengewicht (z. B. unilaterale - auf einem Bein) und auch Übungen mit Impacts vorzubereiten. Gleichzeitig kann das Krafttraining mit den alternativen Sportarten wie Schwimmen, Gehen oder Walken, Radfahren oder Trainings auf dem Crosstrainer ergänzt werden. 

Tipps

  • Stabilitätstraining als neuer Pfeiler des Lauftrainings: Wer nach einer Schwangerschaft wieder eine High Impact-Sportart ausüben möchte, kommt um Stabilitätsübungen für den kompletten Bewegungsapparat nicht herum.
  • Egal ob als Laufanfängerin oder beim (Wieder-)Einstieg nach der Geburt - wechsle zwischen Walking und Laufen. Steigere die Laufabschnitte von Training zu Training.
  • Die ersten Wochen sollte nur im Grundlagenbereich trainiert werden. Erst später kommen die intensiven Einheiten hinzu. Diese können anfangs bergauf absolviert werden. So werden die Schläge auf den Körper reduziert.
  • Bei Schmerzen oder Beschwerden nicht weiterlaufen. Stoppe das Lauftraining vorübergehend und je nach Schmerz oder Beschwerden gehst du am besten einen Schritt zurück (Kräftigen, Dehnen, Stabilität aufbauen, ganzheitliches Beckenbodentraining ...) oder suchst eine medizinische Fachperson auf. Bei Beckenbodenbeschwerden ist es sehr wichtig, hinzuschauen und diese nicht einfach zu ignorieren und beispielsweise bei Urinverlust mit Binden und / oder Pessaren zu laufen.
  • Auf rund8fit findest du zwei Programme zum Thema "Laufen nach der Schwangerschaft": Lauf Los und Lauf weiter.

Und heute?


Heute, gut zwei Jahre nach der letzten Geburt und fünf Jahre seit dem Kauf des vielversprechenden Multisportwagens, laufe ich wieder oft und regelmässig. Sowohl die Lauffreude als auch die Spannkraft der Körpermitte sowie die Stabilität sind zurück. Jedoch hat sich mein Training aufgrund des Mamaseins grundlegend verändert. Trotz des Wagens, der bis heute unser fast täglicher Begleiter ist, ist mein Training oftmals spontan und hält sich beinahe nie an meinen Plan. Das Kraft- und insbesondere das Stabilitätstraining bilden bis heute das Fundament meiner Lauffreude.

Und auch hier wieder ein Tipp aus dem langjährigen Erfahrungsschatz als Sportlerin und Trainerin von Stefanie Meyer: "Blendet eure pränatalen Bestzeiten oder Trainingsstunden pro Woche aus! Mit der Geburt eines Kindes beginnt auch in sportlicher Hinsicht eine neue Zeitrechnung." 

Letzte Aktualisierung: 28.04.2022, Sandra Baumgartner, rund8fit

Mehr zum Thema

Aktuelles

kurz&bündig
11/29/2024

50 Jahre Engagement für Menschen mit Spina bifida und Hydrocephalus

Die Vereinigung Spina Bifida und Hydrocephalus Schweiz (SBH) konnte im November ihr 50-Jahr-Jubiläum feiern. 1974 als …

Neueste Artikel

Unsere Partner