Durch die rosarote Brille betrachtet

Baby, während des Stillens, mit dem Finger im Gesicht der Mutter
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Zuerst war da die Katzenmutter, die sich nach jeder Mahlzeit ihrer fünf Kinder völlig ausgelaugt zum Futternapf schleppte, um riesige Futterportionen zu verschlingen. Dann die erstaunte Frage unseres Kindergartenkindes: "Mama, warum werden die Kätzchen so schnell so gross, wo sie doch nur Milch trinken?" Schliesslich die Arbeit an einigen Links zum Thema "Stillen" hier auf swissmom.ch und plötzlich befand ich mich gedanklich wieder mitten in der Stillzeit.

Ich erinnerte mich wieder an diese unglaublich berührenden Momente, wenn ein Neugeborenes fast von alleine den Weg zur Brust fand, an die genussvollen Geräusche eines trinkenden Babys, an die Zeiten der Zweisamkeit, die es so nie wieder geben wird. Wir Mütter sind bekanntlich äusserst begabt darin, im Nachhinein alles durch die rosarote Brille zu betrachten und so musste ich eine ganze Weile lang in meinen Erinnerungen kramen, um auch die anderen Momente wieder zu finden. 

Der Moment zum Beispiel, als ich mir im ersten Urlaub zu dritt eine Brustentzündung zuzog, weil das sieben Monate alte Baby eines Morgens angewidert die Brust beiseite schob und sich forthin standhaft weigerte, noch einen einzigen Schluck Muttermilch zu trinken. Und das ausgerechnet in einer Situation, in der weder Brustpumpe noch Stillberaterin verfügbar waren. Ich hatte ja schon damit gerechnet, dass Abstillen ein Problem werden könnte, aber doch nicht für mich, sondern für das Baby.

Oder der Moment, als mein drittes Kind die Entdeckung machte, wie lustig die Mama aufschreit, wenn man mit aller Kraft in die Brustwarze beisst. Oh ja, der Kleine wusste sehr wohl, was er tat. Das gleiche freche Grinsen hat er heute noch drauf, wenn er etwas im Schilde führt.

Auch der arme Assistenzarzt, der einmal während des Milcheinschusses zu mir gerufen wurde, kam mir wieder in den Sinn. Peinlich berührt hörte er mir zu, als ich unter Tränen über irgend ein Gebrechen jammerte. In seinen Augen stand die nackte Angst vor dieser Frau, die sich auf einer irren emotionalen Achterbahnfahrt befand und ich glaube, er war unendlich erleichtert, als er endlich zu einem Notfall gerufen wurde. Jahre später sah ich ihn mit seiner Frau und einem Neugeborenen beim Einkauf wieder und ich muss gestehen, dass ich hoffte, seine Frau habe sich im Wochenbett ähnlich peinlich aufgeführt wie ich damals.

Wie in einer Diashow tauchten Bilder aus meiner Still-Vergangenheit auf: Die Trauer, als ich nach drei Monaten Stillen mit Brustabszess die Waffen streckte und meiner Tochter schweren Herzens den Schoppen gab. Der mächtige Rülpser, mit dem mein letztes sauberes Oberteil, die Bettwäsche und mein Kissen in einem Schwall von Milch gebadet wurden. Das Gespräch mit der Stillberaterin beim fünften Kind, bei dem ich der armen Frau haarklein erklärte, welche gängigen Methoden sie bei mir schon zum Vornherein vergessen könne und welche Brustpumpe sie für mich auftreiben müsse. Die Nacht, als ich einem meiner Söhne einen gebrauchten Still-BH in die Wiege legte, weil er trotz zahlreicher Mahlzeiten pausenlos nach der Brust schrie und ich ihn damit endlich beruhigen konnte. Der nervige Kollege auf der Redaktion, der ein Foto für die nächste Ausgabe schiessen wollte, als ich einmal bei der Arbeit meinen Sohn stillte.

Auf keine dieser Situationen hatten mich die Ratgeber vorbereiten können, auch wenn einiges davon angedeutet wurde. Meine Kinder und ich haben es dennoch geschafft und ich habe nur die besten Erinnerungen an die Zeit. Erst recht, wenn ich sie durch die rosarote Brille betrachte.  

Letzte Aktualisierung: 04.07.2016, TV