Long Covid: Was kann man gegen die Beschwerden tun?

Symptome lindern und mit der Krankheit umgehen lernen - dies sind bislang die einzigen Möglichkeiten, Long Covid zu behandeln.

Frau zieht Kompressionsstrümpfe an
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Bedenkt man, wie belastend und lebensverändernd die Symptome sind, gibt es enttäuschend wenig, was bei Long Covid hilft. Dennoch lohnt es sich, die verschiedenen Möglichkeiten auszuprobieren, die zur Symptomlinderung zur Verfügung stehen. Denn dadurch kann immerhin die Lebensqualität verbessert werden. Lassen Sie sich jedoch auch bei Präparaten, die rezeptfrei erhältlich sind, immer gut von einer Ärztin oder einem Apotheker beraten. 

Niemals das Pacing vergessen!


Ob Sie nun eine Reihe von ärztlichen Untersuchungen vor sich haben, sich von einer Atemtherapeutin helfen lassen möchten oder Ihr Gedächtnis trainieren wollen: Planen Sie alles so ein, dass Sie möglichst selten über Ihre Belastungsgrenzen hinausgehen. Dies ist besonders wichtig, wenn eine Massnahme oder ein Medikament gut wirkt und Sie dadurch einen Energieschub verspüren. Ziehen Sie das Pacing dann nicht konsequent weiter, folgt unweigerlich die Ernüchterung in Form eines Crashs.

Was Sie tun können, um Symptome zu lindern


Nahrungsergänzungsmittel und Phytotherapie

Wenn Sie sich mit anderen Long-Covid-Betroffenen austauschen, werden viele von ihnen auf die Nahrungsergänzungsmittel zu sprechen kommen, die ihnen Linderung verschaffen: Quercetin, Vitamin C, L-Arginin, Coenzym Q10, Niacin, Zink, Vitamin D, Vitamin B 12 etc. Auch mit pflanzlichen Mitteln wie Rosenwurz oder Vitalpilzpräparaten wie Reishi und Löwenmähne machen manche gute Erfahrungen. Während die symptomlindernde Wirksamkeit einiger dieser Präparate in Studien untersucht worden ist, ist sie bei anderen bislang rein anekdotisch. 

Nicht alle Betroffenen sprechen gleich gut auf Nahrungsergänzungsmittel und Phytotherapie an. Einige spüren tatsächlich eine deutliche Verbesserung, bei anderen bleiben viele Präparate wirkungslos oder sorgen für Verdauungsprobleme. Sie werden daher ausprobieren müssen, was bei Ihnen wirkt. Lassen Sie sich aber auf jeden Fall von einer Fachperson beraten, denn auch Vitaminpräparate und pflanzliche Mittel können des Guten zu viel sein. Und bleiben Sie misstrauisch bei vollmundigen Versprechen mancher Anbieter. Eine komplexe Erkrankung lässt sich nicht mit einer täglich eingenommenen Multivitaminkapsel wegzaubern. 

Symptomlinderung bei Kreislaufstörungen

Besteht bei Ihnen der Verdacht auf POTS oder eine orthostatische Hypotonie, sollten Sie täglich mindestens 2 bis 3 Liter trinken. Um gegen das Schwindelgefühl beim morgendlichen Aufstehen vorzubeugen, trinken Sie am besten schon im Bett etwas. Stellen Sie dazu am Vorabend ein Glas Wasser oder eine Thermosflasche mit Bouillon auf dem Nachttisch bereit. Auch ein selber zubereitetes Elektrolytgetränk (1 dl Orangensaft, 1 l Wasser, 4 TL Zucker und 1 TL Salz), das Sie über den Tag verteilt trinken, kann helfen. 

Sofern aus gesundheitlichen Gründen nichts dagegen spricht, wird empfohlen, täglich 6 bis 10 g Salz zu sich zu nehmen. Schweres Essen kann Ihren Körper ziemlich überfordern. Deshalb sind kleine und leichte Mahlzeiten empfehlenswert. Kompressionsstrümpfe (Klasse 2) und das Schlafen in halb aufrechter Position tragen ebenfalls zur Symptomlinderung bei. Während Hitze oft schwer auszuhalten ist, empfinden manche Betroffene Kälte als lindernd. 

Guter Schlaf

Ein- und Durchschlafprobleme sowie ein erhöhtes Schlafbedürfnis können Ihnen auf Dauer sehr zusetzen. Deshalb ist es einerseits wichtig, auf die Schlafhygiene zu achten: möglichst regelmässige Schlafenszeiten, abends nur leichte Mahlzeiten und keine koffein- und alkoholhaltigen Getränke, eine kühle, gut gelüftete Schlafumgebung und der Verzicht auf Bildschirmzeit direkt vor dem Schlafen.

Hilft das alleine nicht, können Baldrian oder Kräutertees mit Orangenblüten, Passionsblume, Lavendel, Melisse oder Verveine unterstützend wirken. Falls Ihr Kreislauf mitspielt, können Sie es mit einem Entspannungsbad kurz vor der Schlafenszeit probieren. Viele Long-Covid-Betroffene machen auch gute Erfahrungen mit Melatonin. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob dies eine Option für Sie wäre. 

Histaminarme Ernährung

Sowohl bei einer Histaminintoleranz als auch bei einem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) ist es sinnvoll, sich einige Wochen histaminarm zu ernähren, um zu beobachten, ob sich die Symptome dadurch bessern. Lassen Sie sich dazu von einem Ernährungsberater beraten. Auch Antihistaminika können helfen. Einige davon sind rezeptfrei erhältlich. Werden sie jedoch von einer Ärztin verschrieben, übernimmt in der Regel die Krankenkasse die Kosten. 

Atemübungen

Wenn Sie schon bei der kleinsten Anstrengung ausser Atem geraten, kann das Erlernen von einfachen Atemübungen hilfreich sein. Zwar verschwindet die Kurzatmigkeit dadurch nicht. Es gelingt Ihnen jedoch besser, wieder ruhig zu atmen. Eine Physiotherapie kann helfen, die richtigen Atemtechniken zu erlernen.

Gedächtnis- und Konzentrationsübungen

Sich länger auf einen Text zu konzentrieren, zu lernen oder zu arbeiten ist für viele Betroffene kaum oder gar nicht möglich. Kreuzworträtsel, Sudokus, Knobelspiele etc. helfen Ihnen, das Gedächtnis und die Konzentration zu trainieren. Es gibt auch entsprechende Apps, die Ihnen das tägliche Training erleichtern. Achten Sie jedoch beim Üben stets darauf, nicht über Ihre Belastungsgrenzen hinauszugehen. 

Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen

Anhaltende Schmerzen, schlechter Schlaf, Herzrasen, Zukunftssorgen - das alles setzt Ihnen auf Dauer wohl ganz schön zu. Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen können das körperliche Wohlbefinden steigern und Ihnen helfen, besser mit Ihrer Situation klarzukommen. Wie bei allen anderen Massnahmen gilt auch hier: Respektieren Sie die Grenzen, die Ihnen Ihr Körper setzt, um einen Crash zu vermeiden. 

Wichtig

Unsere Artikelserie zum Thema Long Covid bietet einen groben Überblick zu einem äusserst komplexen Krankheitsbild, zu dem laufend neue Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Weiterführende Informationen, die mehr ins Detail gehen, finden Sie beispielsweise bei der Patientenorganisation Long Covid Schweiz.

Mit der Bezeichnung "Long Covid" ist in unseren Artikeln das Krankheitsbild gemeint, das mit chronischer Fatigue, Belastungsintoleranz, Konzentrationsstörungen ("Brain Fog") und einer Vielzahl von weiteren Symptomen einhergeht.

Gibt es Medikamente, die bei Long Covid helfen?


Gegen einige der häufigen Beschwerden kann Ihnen der Arzt Präparate verschreiben, z. B. gegen Schmerzen, Herzrasen, hohen Blutdruck, asthmatische Symptome, MCAS oder schwere Schlafstörungen. Bislang gibt es jedoch keine medikamentöse Therapie, mit der die Krankheitsursachen bekämpft werden können. Um einige der vielen Long Covid-Symptome gezielter zu lindern, verschreiben einzelne Ärztinnen Off-Label-Medikamente. Da diese nicht für die Behandlung von Long Covid zugelassen sind, werden die Kosten in manchen Fällen nur von der Zusatzversicherung übernommen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es sonst noch?


Physio- und Ergotherapie können beim Einüben des Pacing und beim Erlernen von Atemtechniken helfen. Der Therapeut muss sich allerdings mit Long Covid und insbesondere mit Belastungsintoleranz auskennen. Vielen Betroffenen wird auch eine Psychotherapie empfohlen. Diese ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn Sie fachliche Unterstützung brauchen bei der Bewältigung der Herausforderungen, welche die Krankheit mit sich bringt. 

Manche Long-Covid-Betroffene berichten von positiven Erfahrungen mit der hyperbaren Sauerstofftherapie. Dabei befindet sich die Patientin in einer Überdruckkammer, in der sie reinen Sauerstoff einatmet. Dadurch soll die Sauerstoffaufnahme im Blut und die Versorgung der Gewebe verbessert werden. Dieses Verfahren kommt auch bei anderen Erkrankungen zum Einsatz. Da es für die Behandlung von Long Covid noch nicht zugelassen ist, übernimmt die Krankenkasse die Kosten in vielen Fällen nicht.

Ein weiteres Verfahren, das eingesetzt wird, ist die H.E.L.P.-Apherese. Dies ist eine Art von Blutreinigung, bei der krankheitsverursachende Stoffe wie Spike-Proteine, Entzündungsproteine sowie Mikroblutgerinnsel aus dem Blutplasma gefiltert werden. Während dieses Verfahren für andere Krankheiten bereits seit längerer Zeit bewährt ist, besteht für Long Covid noch keine Zulassung. Betroffene müssen deshalb die teure Behandlung selber bezahlen.

Die Wirksamkeit der Apherese ist bislang nicht ausreichend durch Studien belegt. Fallberichte sprechen allerdings dafür, dass die Behandlung bei einem Teil der Betroffenen zu einer deutlichen Verbesserung führt. Da andere jedoch nicht darauf ansprechen, wäre es wichtig, genauer zu untersuchen, in welchen Fällen die Apherese hilfreich ist und wo sie an ihre Grenzen stösst. 

Was tun gegen die Infektanfälligkeit?


Viele Long-Covid-Betroffene berichten, sie würden seit ihrer Erkrankung jeden Krankheitserreger auflesen, der gerade kursiert. Das ist zum einen mühsam, weil man neben den vielen anderen Beschwerden nicht auch noch eine triefende Nase und Gliederschmerzen brauchen kann. Die Anfälligkeit kann obendrein zu einer Belastung werden, wenn Sie Ihrer Arbeit noch nachgehen können und sich immer wieder krankmelden müssen.

Sie können sich ein Stück weit schützen, indem Sie in schlecht belüfteten Räumen und in öffentlichen Verkehrsmitteln eine gut sitzende FFP2-Maske tragen, in Wohnräumen und im Büro einen Luftreiniger mit HEPA-Filter laufen lassen sowie regelmässig und ausgiebig lüften. Eine gute Händehygiene ist ebenfalls wichtig - insbesondere wenn Ihre Kinder zum Beispiel eine Magen-Darm-Grippe ins Haus gebracht haben. Alle Ansteckungen lassen sich durch diese Massnahmen natürlich nicht vermeiden, aber vielleicht gelingt es Ihnen besser, den einen oder anderen Infekt abzuwehren. 

Was hilft nicht?


Mit zunehmendem Wissen über Long Covid hat sich nicht nur gezeigt, was Linderung verschaffen kann. Es wird auch immer klarer, welche Massnahmen nicht helfen.

Eine Therapieform, vor der Experten ausdrücklich warnen, ist die sogenannte Graded Exercise Therapy (GET). Bei dieser stufenweisen Aktivierungstherapie wird zuerst ermittelt, wie viel körperliche Belastung dem Patienten möglich ist, bevor die Aktivität schrittweise gesteigert wird. Dahinter steht der Grundgedanke, ME/CFS-Betroffene hätten sich aktivitätsvermeidende Verhaltensweisen angeeignet und seien dadurch dekonditioniert. Nun müssten sie nach und nach lernen, ihre Grenzen wieder auszuweiten und zu überwinden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass das Steigern der Aktivität nicht nur zu schlimmen Crashes führt, sondern bei vielen Betroffenen auch zu bleibenden Zustandsverschlechterungen

Obschon Gesundheitsbehörden und Fachgesellschaften im Zusammenhang mit Belastungsintoleranz ausdrücklich vor GET warnen, gibt es immer noch Rehabilitationsprogramme, in denen dieses Therapiekonzept bei Long Covid und ME/CFS zur Anwendung kommt. Falls also die Frage im Raum steht, ob eine Reha angezeigt ist, sollten Sie vorgängig klären, ob eine stufenweise Aktivierung Teil des Programms ist. 

Auch eine psychosomatische Rehabilitation wird den Bedürfnissen von Long-Covid-Betroffenen meist nicht gerecht. Zum einen ist das Programm mit regelmässigen Therapiesitzungen, viel Bewegung und kreativen Aktivitäten für Betroffene mit Belastungsintoleranz kaum zu schaffen. Zum anderen ist inzwischen ausreichend belegt, dass Long Covid keine psychosomatische Erkrankung ist. Psychotherapie kann deshalb zwar bei der Krankheitsbewältigung helfen, sie kann jedoch die Krankheitsursachen nicht bekämpfen

Schliesslich sollten Sie skeptisch sein bei Heilversprechen von alternativmedizinischen Anbietern. Zwar empfinden manche Betroffene solche Behandlungen als lindernd und wohltuend und dann spricht nichts dagegen. Tatsache ist aber auch: Das eine "Wundermittel", das die belastenden Long-Covid-Symptome beseitigt, gibt es bislang nicht. 

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