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                              Was Neugeborene schon alles können!

                              Interview mit Prof. Dr. med Gregor Schubiger

                              Neugeborenes gähnt
                              ©
                              Fotolia

                              swissmom: Herr Professor Schubiger, zuerst eine allgemeine Frage: Wie nehmen Neugeborene ihre Umwelt wahr?

                              Prof. Schubiger: Die anatomischen Strukturen der Sinnesorgane, mit denen wir unsere Umwelt wahrnehmen, werden schon früh in der Embryonalzeit ausgebildet. Einige übernehmen ihre Funktion lange vor der Geburt, z.B. das Gehör, andere kommen erst nach der Geburt zum Einsatz, z.B. der Geruchsinn. Mit der Geburt tritt das Kind in eine völlig neue Umgebung ein. Anpassungsvorgänge spielen sich nicht nur in der Sauerstoffversorgung und der Temperaturregulation ab, sondern ebenso in der Wahrnehmung der Umwelt: Bilder, Töne, Berührung lösen ausserhalb des Uterus ganz neue Reize aus. Die Sinnesorgane sind in den ersten Lebenstagen nicht nur zu Wahrnehmungen fähig. Die Sinneseindrücke werden auch verarbeitet, führen zu gezielten Reaktionen und können sogar mit pränatalen Erfahrungen des Kindes verknüpft werden. Als aufmerksamer Beobachter der Neugeborenen kann man faszinierende Details erkennen, auf die wir in diesem Interview eingehen können.

                              Zur Person

                              Prof. Dr. med Gregor Schubiger ist Chefarzt der Pädiatrie am Kinderspital/Kantonsspital Luzern.

                              swissmom: Wie unterscheidet sich das Sehvermögen des Neugeborenen vom älteren Kind? Sieht es besonders gut in der Nähe? Kann das Neugeborene bereits alle Farben unterscheiden, und reagiert es auf unterschiedliche Farben in seinem Verhalten? Sind die Augen bei zu starker Sonneneinstrahlung gefährdet? 

                              Prof. Schubiger: Schon kurz nach dem Abnabeln und dem (nicht obligat lauten) ersten Schrei sperren viele Neugeborene ihre Augen weit auf und sind hellwach. Man spricht von „alerten Phasen“ im Verlauf der ersten Lebensstunden. In einem Gesicht-zu-Gesicht-Abstand von ca. 20-30 cm kann die Mutter mit dem Kind visuellen Kontakt aufnehmen und das Kind kurzzeitig zum Fixieren bringen. Das braucht aber viel Geduld und optimale Voraussetzungen. Das gelingt aber auch dem Vater oder anderen Personen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Neugeborene sich eher für Umrisse eines Bildes interessieren als für dessen Details. Bewegte Gegenstände können sie verfolgen, insbesondere wenn diese von leuchtender Farbe sind. Über das Farbensehen im Detail gibt es wohl zu wenig Informationen. Direkte Sonnenbestrahlung sollte man für Neugeborene aus vielen Gründen vermeiden. Dass es zur Schädigung der Netzhaut durch Lichtenergie kommt, ist theoretisch denkbar, praktisch aber dank der Schutzreflexe des Auges nicht bekannt. Vorsichtshalber werden deshalb bei der Fototherapie der Neugeborenen-„Gelbsucht“ die Augen abgedeckt. Blitzlichtaufnahmen im Gebärsaal sind grundsätzlich ungefährlich. Besser werden aber Fototechniken angewendet, die auf das Blitzlicht verzichten können.

                              swissmom: Neugeborene und Säuglinge werden oft mit tönendem Spielzeug umgeben. Wie sinnvoll ist das? Hat es einen günstigen Einfluss auf ihr Wohlbefinden? Sind Neugeborene lärmempfindlich oder werden sie durch laute Geräusche nicht gestört? Kann man Neugeborene und Säuglinge mitnehmen an Orte, an denen sie lauter Musik ausgesetzt sind, ohne gesundheitliche Schäden, z.B. für das Hörvermögen, zu riskieren? 

                              Prof. Schubiger: Das Gehör ist das erste Sinnesorgan, das schon in der ersten Schwangerschaftshälfte seine Funktion aufnimmt. Töne kommen wohl nach dem Weg durch die Bauchdecken und das Fruchtwasser verändert an. Das Kind reagiert pränatal auf Lärm mit Herzfrequenzänderungen und kann durch Sprechen oder sanfte Musik beruhigt werden. Das Beispiel der professionellen Cellistin, die ihr Kind nach der Geburt mit demselben Musikstück beruhigen konnte wie pränatal, zeigt, dass Höreindrücke auch gespeichert und erinnert werden. Nach der Geburt müssen Höreindrücke anders verarbeitet werden. Sanfte Töne - auch aus einer Musikdose - tragen ohne Zweifel zur Beruhigung bei. Ausdruck und Tonlage der Stimme vermitteln dem Kind Geborgenheit, auch wenn es den Wort-Inhalt nicht versteht. Die inhaltlosen Kose-Laute, die Erwachsene beim Kontakt mit Neugeborenen mit hoher Stimme ausstossen (Babysprache), werden offenbar vom Kind angenehm registriert. Neugeborene sind im Wachzustand lärmempfindlich (Erwachsene auch!). In gewissen Schlafphasen können sie die Wahrnehmung selbst lauter Geräusche unterdrücken und sind kaum weckbar (Habituation). Das führt gelegentlich zum Eindruck, dass Neugeborene nicht hören würden. Mit dem heute üblichen Hör-Screening in der ersten Woche ist diese Sorge meist ausgeräumt. Das Mitnehmen von Säuglingen an lärmige Orte ist zu vermeiden, Hörschäden durch hohe Lärmexposition kommen in jeder Altersgruppe vor! 

                              swissmom: Geruch- und Geschmacksinn haben mit der Nervenentwicklung zu tun. Ab wann kann man bei Säuglingen mit einer Vorliebe für bestimmte Speisen rechnen oder ist die Akzeptanz der Nahrung eher von der Art der Darreichung und der Konsistenz abhängig? 

                              Prof. Schubiger: Diese beiden Sinneswahrnehmungen sind bereits bei Geburt hochentwickelt. Der Luzerner Kinderarzt Dr. Fritz Stirnimann hat zu Beginn des letzten Jahrhunderts dazu minutiöse Beobachtungen aufgezeichnet. Ein Forscher hat auch vermehrte Schluckbewegungen des Feten beobachtet, nachdem er Süssstoffe ins Fruchtwasser injiziert hatte (!). Der vor der Geburt inaktive Geruchsinn erlaubt dem Baby schon nach wenigen Tagen, den spezifischen Körpergeruch der eigenen Mutter von demjenigen anderer Personen zu unterscheiden. Bezüglich Geschmacksinn sollten Säuglinge während der ersten (4-) 6 Monate keine Vorlieben für andere Speisen entwickeln: Optimal werden sie voll gestillt! Danach werden sicher süsse Speisen und gewisse Geschmackstoffe bevorzugt. Die Babynahrungsmittelindustrie weiss darüber gut Bescheid. Die spätere Akzeptanz von Nahrungsmitteln entspricht wohl individuellen Eigenheiten und der Familientradition, die man kaum wesentlich beeinflussen kann. 

                              swissmom: Und dann ganz allgemein, was können Neugeborene schon, was uns in Erstaunen versetzt, wenn wir es zum ersten Mal erleben dürfen? 

                              Prof. Schubiger: Die ganze Palette der faszinierenden Welt der Neugeborenen darzustellen, würde den Rahmen des Interviews sprengen. Das Buch des Ehepaars Marshall und Phyllis Klaus „Das Wunder der ersten Lebenswoche“, erschienen im Kösel-Verlag, München, zeigt interessierten Eltern die vielen unglaublichen Fähigkeiten von neuen Erdenbürgern auf.

                              Letzte Aktualisierung: 04.11.2019, AG