Die Geburt im Geburtshaus

Eine erfahrene Hebamme beantwortet viele Fragen rund um die Geburt im Geburtshaus

in Nachthemd und Decke gewickelt auf dem Sofa sitzend
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swissmom: Welche Vorteile bietet die Geburt in einem Geburtshaus gegenüber derjenigen im Spital oder zu Hause?

Gabriela Sutter Müller: Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit sind für uns Hebammen natürliche Lebensvorgänge. Unsere Aufgabe ist es, durch einfühlsame und professionelle Betreuung diesen Prozess zu unterstützen und die Gesundheit von Mutter und Kind ganzheitlich zu fördern und zu stärken.

Geburten begleiten wir wissend, abwartend und greifen nur da ein, wo es medizinisch zur Sicherheit von Mutter und oder Kind nötig ist. Das Geburtshaus bietet einen Rahmen von Geborgenheit und Sicherheit, damit der Prozess der Geburt ungestört und im individuellen Rhythmus ablaufen kann. Dies sind wichtige Voraussetzungen, damit sich die Gebärende entspannen und somit ihre Kräfte optimal ausschöpfen kann.

Im Geburtshaus begleitet die zuständige Hebamme die Geburt mit hoher Präsenz und Achtsamkeit, sie wacht über das Wohlergehen von Mutter, Kind und der Begleitperson. Sie sorgt für einen ungestörten Verlauf des Geburtsgeschehens und unterstützt die Gebärende mit Kopf, Hand und Herz bei dieser grossen Herausforderung. Eine kontinuierliche Geburtsbegleitung durch die Hebamme fördert das positive Erleben der Geburt. Dafür braucht es einen hohen Personalschlüssel: Die Hebamme, welche die Geburt begleitet, muss sich ausschliesslich auf die eine Familie einlassen können. Nebenher für andere Tätigkeiten wie zum Beispiel Schwangerschaftskontrollen, Wochenbettbegleitung oder sogar die Begleitung einer zweiten Familie unter Geburt zuständig zu sein, sollte in einem Geburtshaus nicht vorkommen. Hebammen im Geburtshaus leisten Pikettdienst und unterstützen sich gegenseitig, damit sie diese ununterbrochene Aufmerksamkeit jeder Familie anbieten können.

Zur Person

Gabriela Sutter Müller

Gabriela Sutter Müller arbeitet seit über 20 Jahren als Hebamme, seit 2015 im Geburtshaus Zürcher Oberland, wo sie Mitglied der Geschäftsleitung ist. Sie ist verheiratet und Mutter von 3 Teenager-Töchtern.

swissmom: Gibt es Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Frau im Geburtshaus gebären kann?

Gabriela Sutter Müller: Ja, damit eine Geburt im Geburtshaus geplant werden kann, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Beim Aufnahmegespräch lernen wir jede Frau persönlich kennen. Wir schätzen ein, ob die medizinische Vorgeschichte der Schwangeren eine komplikationsarme Geburt erwarten lässt. Zudem sprechen wir mit den Eltern über die Möglichkeiten und Grenzen unserer Betreuung im Geburtshaus und prüfen, ob sich die Vorstellungen der werdenden Eltern mit unseren Rahmenbedingungen decken. Eine wichtige Grundlage für den Erfolg einer intervensionsarmen Geburt ist das gegenseitige Vertrauen. Damit dies aufgebaut werden kann, möchten wir mindestens zwei Schwangerschaftskontrollen im Geburtshaus durchführen.

swissmom: Können schwangere Frauen bereits die Schwangerschaftskontrollen im Geburtshaus durchführen lassen? Übernimmt dies Grundversicherung diese Kosten?

Gabriela Sutter Müller: Ja, gerne begleiten wir die werdende Familie auch schon durch die Schwangerschaft. Die Kosten sind durch die Grundversicherung gedeckt. Hebammen nehmen sich Zeit, neben den medizinischen, körperlichen Untersuchungen auf die Bedürfnisse, Fragen und Sorgen der werdenden Familie einzugehen. Gemeinsam suchen wir Ressourcen, welche die Frau und ihre Partner*in in dieser besonderen Lebensphase stärken. Die Gesundheit wird dadurch erhalten, beziehungsweise gefördert.

swissmom: Wenn für eine Geburt Interventionen wie zum Beispiel eine PDA, die Saugglocke oder Zange nötig sind, können diese im Geburtshaus durchgeführt werden?

Gabriela Sutter Müller: Manchmal zeigt sich im Verlauf der Geburtsarbeit, dass die Frau von einer medizinischen Intervention profitieren würde. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Geburt sehr lange dauert und die Kräfte der Frau langsam zu Neige gehen. In einem solchen Moment können eine PDA oder wehenfördernde Mittel durchaus sinnvoll sein und dazu beitragen, dass eine vaginale Geburt noch möglich wird. Manchmal braucht es auch einen Kaiserschnitt. Diese medizinischen Massnahmen werden im Geburtshaus nicht durchgeführt. In diesen Situationen beraten wir die Familien, dass eine Verlegung ins Spital jetzt Vorteile bietet. Wir besprechen in Ruhe, wie die Verlegung ins Spital abläuft und was sie dort erwartet. Die Hebamme begleitet dann die Frau ins Spital und übergibt sie in die sicheren Hände des Spitalteams.  

swissmom: Welche Möglichkeiten der Schmerzerleichterung bietet ein Geburtshaus?

Gabriela Sutter Müller: Studien zeigen, dass der Schmerzmittelbedarf sinkt, wenn die Gebärende kontinuierlich von einer Hebamme begleitet wird. Der Regelkreis von Angst- Spannung- Schmerz wird unterbrochen und die Frauen können ihre Energie für die eigentliche Geburtsarbeit einsetzten. Es ist immer wieder beeindruckend, wie die Frauen in einer Atmosphäre der Ruhe und Geborgenheit die Schmerzen gut bewältigen. Meistens reicht die Unterstützung von Massagen, Wickel, Wärme oder anderen komplementärmedizinischen Maßnahmen. Mit einer bewussten Atmung können die Kontraktionen sehr häufig gut bewältigt werden. Viele Frauen üben dies bereits vor der Geburt

swissmom: Was geschieht, wenn während der Geburt Komplikationen auftreten?

Gabriela Sutter Müller: Echte Notfälle kommen in Geburtshaus – auch dank der sorgfältigen Abwägung, ob sich die medizinische Vorgeschichte der Gebärenden für eine ausserklinische Geburt eignet – sehr selten vor. Sollte es zu Komplikationen kommen, ist alles Material und das nötige Fachwissen vorhanden, um die Frau oder das Kind adäquat zu versorgen. Notfalltrainings gehören für Hebammen, die in Geburtshäusern arbeiten, zum Standard. So wird gewährleistet, dass die Handgriffe sitzen und die Abläufe reibungslos sind. Geburtshäuser legen grossen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit den Spitälern, die Schnittstellen werden regelmässig besprochen, sodass bei einer Verlegung alle beteiligten Parteien gut zusammenarbeiten können.

swissmom: Übernimmt die Grundversicherung die Kosten für die Geburt im Geburtshaus?

Gabriela Sutter Müller: Die meisten Geburtshäuser in der Schweiz sind auf der Spitalliste aufgenommen. Das bedeutet, dass sie einen offiziellen Leistungsauftrag der Gesundheitsdirektion haben. Alle Kosten für Schwangerschaftsbegleitung, Geburt, Wochenbett und Stillberatung im Geburtshaus sind Pflichtleistungen der Grundversicherung und werden vollständig übernommen. Dies gilt auch, wenn sich ein Paar nach einer Haus- oder Spitalgeburt entscheidet, das Wochenbett im Geburtshaus zu verbringen. Einzig die Kosten für Mahlzeiten und Übernachtung der Begleitperson werden nicht von der Krankenkasse übernommen.

swissmom: Können Mutter und Kind die ersten Tage des Wochenbettes im Geburtshaus verbringen und wie lange können Wöchnerinnen auf Kosten der Grundversicherung eine Betreuung in Anspruch nehmen?

Gabriela Sutter Müller: Die meisten Geburtshäuser bieten ein stationäres Wochenbett an. Die erste Zeit nach der Geburt ist für die junge Familie eine wichtige Phase. Kompetent und mit viel Aufmerksamkeit begleiten wir Hebammen die Wöchnerin und ihre Partner:in. Obwohl Stillen eine natürliche Sache ist, braucht es in den ersten Tagen oft viel fachliche Unterstützung. Zudem instruieren wir die Paare in der Babypflege und verwöhnen die Mutter und nach Wunsch auch Ihre Begleitperson mit gesunden, stärkenden Mahlzeiten.

swissmom: Worin sehen Sie persönlich als Hebamme die Vorzüge einer Geburt im Geburtshaus?

Gabriela Sutter Müller: Die beschriebene Arbeitsweise erfüllt mich als Hebamme mit grosser Zufriedenheit. Zudem ist für mich die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung im Team enorm wichtig. Auch schätze ich – anders als zum Beispiel bei Hebammen, welche Hausgeburten begleiten – dass meine Arbeits- und Freizeit geregelt ist.

swissmom: Wenn ich mich für eine Geburt im Geburtshaus interessiere: Wie finde ich das nächste Geburtshaus und zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft ist eine Kontaktaufnahme sinnvoll?

Gabriela Sutter Müller: Auf www.geburtshaus.ch sind alle Geburtshäuser der Schweiz aufgeführt, die im Verein Interessegemeinschaft der Geburtshäuser Schweiz IGGH–CH® zusammengeschlossen sind. Wir freuen uns über jede Kontaktaufnahme, egal ob dies gleich nach dem positiven Schwangerschaftstest  oder erst kurz vor der Geburt ist.

Letzte Aktualisierung: 20.06.2022, KM