Wie war das nochmal mit diesen Phasen?

Kind bohrt in der Nase
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"Es ist bestimmt nur eine Phase", sagen wir Mütter und Väter seufzend, wenn die Dinge mal wieder nicht so sind, wie wir sie uns eigentlich wünschen würden. Ob es nun ein Säugling ist, der pausenlos weint, eine Zweijährige, die sich bei jedem Nein tobend auf dem Fussboden wälzt, ein Dreikäsehoch, der alles, was ihm aufgetragen wird, wenn überhaupt, dann nur im Schneckentempo erledigt oder eine Pubertierende, die bei jedem falschen Wort an die Decke geht - tief in unserem Inneren ahnen wir, dass sich das wieder legen wird. Und dass wir schon bald über die Dinge lachen werden, die uns jetzt den letzten Nerv rauben. Klar, zuweilen stellt sich mit der Zeit heraus, dass es halt doch keine Phase, sondern ein handfestes Problem ist. Dann tun wir gut daran, den Grund für dieses Problem ausfindig zu machen. Doch in den allermeisten Fällen renken sich die Dinge tatsächlich von selber wieder ein und bald schon fragen wir erstaunt: "Was für eine Phase denn? Läuft doch alles wieder bestens...", wenn jemand wissen will, ob unser Nachwuchs noch immer so furchtbar schlecht drauf sei.

An diesem Punkt müsste diese Kolumne eigentlich zu Ende sein, denn wenn wir wissen, dass sich vieles von selbst wieder gibt, könnten wir doch ziemlich entspannt sein. Sind wir aber nicht, denn da gibt es nicht nur diesen kleinen Engel, der auf unserer Schulter sitzt und uns tröstend ins Ohr flüstert: "Immer mit der Ruhe, ist bestimmt nur eine Phase." Nein, da gibt es auch diesen winzigen Teufel, der es sich auf unserer anderen Schulter bequem gemacht hat und der hält sich dort ganz bestimmt nicht ruhig. Oh nein, im Gegenteil, der quasselt in einem fort. Hier ein paar Müsterchen von dem, was er den lieben langen Tag alles von sich gibt, wenn er erst mal in Fahrt ist:

"Gibt es in der Werbung ein einziges Baby, das nach einer frischen Windel und einer sättigenden Mahlzeit weiter schreit? Nein. Du machst das bestimmt ganz falsch, also unternimm gefälligst etwas, damit dein Kindchen so satt und zufrieden ist, wie man es von ihm erwarten darf. Ist doch kein Zustand so."

"Das Kind muss essen, damit es gedeihen kann! Ja, ja, ich weiss, deine Freundinnen, die Kinderärztin und die Mütter- und Väterberaterin behaupten, sie werde sich schon nehmen, was sie braucht und sie entwickle prächtig. Momentan sei sie halt ein wenig abgelenkt durch all das Neue, das es zu entdecken gibt. Aber was, wenn das nicht stimmt? Du hast doch neulich diesen Artikel über Mangelernährung gelesen..."

"Das Trotzen müsste jetzt aber allmählich ein Ende haben, findest du nicht? Schau bloss, wie friedlich und angepasst der Nachbarjunge ist. Und deine Kleine macht wegen jeder Kleinigkeit ein Theater. Ich fürchte, das mit der Erziehung hast du nicht so drauf. Wenn du mich fragst, ist jetzt allmählich der Zeitpunkt gekommen, wo du dir Sorgen machen solltest." 

"So, der Lehrer meint also, man könne da getrost noch ein wenig zuwarten, manche Kinder bräuchten eben etwas länger, um in der Schule anzukommen? Dein Junge wurde aber schon vor drei Monaten eingeschult und gestern hat er schon wieder seine Hausaufgaben vergessen. Wie wär's mit einer Abklärung?"

"Eine schöne Familie seid ihr! Immer nur Chaos, knappe Finanzen und genervte Eltern. Hast du auf Instagram gesehen, wie wunderbar Jeannette ihr Wohnzimmer dekoriert hat? Ach, und wie findest du die Bilder, die Meiers von ihrem dreimonatigen Asien-Trip gepostet haben? Traumhaft, nicht wahr? Das Familienportrait, wo sie alle mit diesem bunt verzierten Elefanten posieren, ist doch allerliebst. So sieht eine wahrhaft glückliche Familie aus..."

Die Fantasie des kleinen Teufels kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, uns einzuflüstern, dass das, was wir mit unseren Kindern gerade erleben, nicht normal ist. Dass wir irgendetwas falsch machen, wenn es gerade nicht so rosig läuft. Dass wir die einzigen sind, die es einfach nicht richtig im Griff haben. Dass wir nur hier ein wenig schrauben und da ein wenig anpassen müssten, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Dass es zu jedem Problem eine Lösung gibt. Dass sich wahrhaft glückliche Familien umgeben von rosaroten Einhörnern unter einem prächtigen Regenbogen auf einer weichen Picknickdecke fläzen. Dass die sich von nichts anderem ernähren als saftigen, roten Erdbeeren, dem Nektar, an dem sich gewöhnlich nur die Feen erlaben dürfen und ganz viel Liebe.

Wir müssen dem Teufelchen nur lange genug zuhören, um zu glauben, es liege ganz in unserer Hand, ob wir weiterhin ein Dasein mit einem brüllenden Säugling und einem mies gelaunten Teenager fristen, oder ob wir endlich diesen einen magischen Knopf finden, mit dessen Hilfe wir zu einer dieser wunderbaren Einhorn-Familien werden. Und dann fangen wir an, ganz verzweifelt nach dem magischen Knopf zu suchen. Dabei wäre es klüger, unsere begrenzten Kräfte dafür einzusetzen, die Sache möglichst gut und unbeschadet zu überstehen. Denn dass es vermutlich eine Phase ist, die zwar ganz schön anstrengend aber irgendwann auch wieder vorbei ist, ahnen wir ja bereits...

Letzte Aktualisierung: 06.01.2018, TV