Sterbender Schwan & Co.

Kind weint

Jedes Kind sollte zwei oder drei Tricks beherrschen, mit denen es dem öden Alltag seiner Eltern ein wenig Würze verleihen kann. Hier eine kleine Auswahl: 

Der sterbende Schwan


Du sagst zu deinem Kind: "Schieb mal bitte die Legos ein wenig zur Seite, damit ich sie nicht aufsauge, wenn ich hier saubermache" und schon füllen sich seine Augen mit Tränen, ein herzzerreissendes "Immer ich"-Wehklagen in Moll erklingt und dein Kind kollabiert kunstvoll zu deinen Füssen. Dir kommt natürlich mal wieder die Rolle des herzlosen Kunstbanausen zu, der dieser zarten Inszenierung mit einem donnernden "Weisst du eigentlich, wie das in meiner Kindheit war? Holz spalten mussten wir. Wochenlang, alle zusammen. Und mein Vater war dabei nicht weniger schlecht gelaunt als ich, wenn ich putzen muss" ein ganz und gar unpassendes Ende setzt. 

Giftalarm


Die Sache mit dem Essen ist ein Klassiker. Wenn die Kinder noch ganz klein sind, kann man es ihnen ja noch nachsehen, dass sie voller Entsetzen auf den Teller starren und sich fragen, womit ihre Eltern sie diesmal zu vergiften versuchen. Man sollte aber meinen, im Laufe der Jahre würden sie allmählich Vertrauen fassen in die Kochkünste ihrer Erzeuger, so dass sie nicht bei jedem halbwegs unbekannten Gericht einen Aufstand im Ausmass der Französischen Revolution anzetteln müssten. (Ja, auch die Franzosen mussten damals ziemlich laut nach einem einfachen Stück Brot schreien, bis sie endlich gehört wurden, aber die schrien nicht bloss, weil Mama oder Papa mal wieder nicht nach ihrem Gusto gekocht hatten.)

Die Schuldgefühl-Nummer


Kind vergisst irgendwo seine Regenjacke, merkt dies aber erst, wenn es wieder am Trockenen ist. Mama und Papa gehen mit ihm im Geiste noch einmal alle Stationen des Tages durch, um herauszufinden, wo das Kind sein vergessenes Kleidungsstück wieder finden könnte. Kind vergisst aber natürlich, das vergessene Kleidungsstück zu holen und schiebt am nächsten Morgen im Morgengrauen die Nummer mit den Schuldgefühlen: "Warum habt ihr mich nicht daran erinnert, dass ich die Jacke holen muss. Ihr habt doch gesagt, das würdet ihr tun. Jetzt werde ich nass und ihr könnt den ganzen Tag in der Wärme sitzen." Natürlich zieht das Kind während dieser Tirade vollkommen ungerührt seine Ersatzregenjacke an. Man hat ja nicht nur eine...

Das Wir-Gefühl stärken


Besonders beliebt bei Schulkindern: "Mama, wir müssen noch die Deutschaufgaben lösen. Danach müssen wir Französisch büffeln und dann haben wir noch Mathe." - "Wie bitte? Wir? Wenn ich mich recht erinnere, habe ich meine obligatorische Schulzeit längst abgeschlossen und auch die freiwillige Verlängerung liegt schon eine ganze Weile zurück." Aber wehe, du sagst laut, was dir da gerade durch den Kopf geht. Dann wird noch mal die Nummer mit den Schuldgefühlen gespielt, denn du alleine bist Schuld, wenn aus dem Kind nichts wird, weil du dich nicht um seine Hausaufgaben gekümmert hast. 

Das Kuschelklub-Monster


Das mutwillige Zerstören gemütlicher Runden mit potentiell lehrreichem Gesprächsinhalt kommt immer gut an. Zum Beispiel so: Alle sitzen einträchtig am Frühstückstisch beisammen und du fängst an, von diesem spannenden Artikel zu erzählen, den du neulich gelesen hast: "Da war ein Mann, der ist heute Elefantenforscher und der hatte schon als Baby einen Plüschelefanten anstelle eines Teddys...", fängst du an. "Ich habe sogar drei Plüschelefanten", unterbricht dich dein Sohn mit leuchtenden Augen, in denen die Hoffnung steht, dass drei Plüschelefanten die allerbeste Voraussetzung für eine grosse Karriere als Elefantenforscher sind. "Du hast nicht drei, du hast nur zwei", knurrt die grosse Schwester hinter ihrem Frühstücksbrot hervor. "Ich hab nicht zwei, ich hab drei", insistiert der kleine Bruder. "Aber der grosse, weiche gehört gar nicht richtig dir", beharrt die grosse Schwester. "Natürlich gehört der mir! Den haben mir Mama und Papa..." "Stimmt überhaupt gar nicht..." "Stimmt aber doch!" So geht das weiter, bis die Grosse die Türe knallt und der Kleine heult. Und du stehst da und murmelst: "Eigentlich hätte ich erzählen wollen, was für einen tollen Zusammenhalt die Elefanten haben. Die weinen sogar, wenn sie einander vermissen. Also so ähnlich wie ihr. An guten Tagen..."

Aber jetzt mal ehrlich: Wüssten wir Eltern die Beschaulichkeit der guten Tage überhaupt noch richtig zu schätzen, dürften wir nicht hin und wieder einer hinreissend traurigen Inszenierung des Sterbenden Schwans beiwohnen?  

Letzte Aktualisierung: 04.07.2016, TV