Schla­fen - My­thos und Rea­li­tät

Baby schläft im Beistellbett
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My­thos: Neu­ge­bo­re­ne kön­nen noch nicht durch­schla­fen. Alle ein bis zwei Stun­den, spä­ter dann alle drei bis vier Stun­den, wol­len sie ge­füt­tert wer­den. Auch nachts.

Rea­li­tät: Meis­tens ist das wirk­lich so. Es sei denn, man wer­de mit ei­nem Kind be­schenkt, das tickt wie un­ser Äl­tes­ter. Der wei­ger­te sich schon im zar­ten Al­ter von vier Wo­chen stand­haft, sich an die Theo­rie zu hal­ten und schlief nicht sel­ten von acht Uhr abends bis sechs Uhr mor­gens. Ge­schla­fen ha­ben wir El­tern trotz­dem nicht be­son­ders gut, denn wenn ein Kind län­ger schläft, als der El­tern­rat­ge­ber er­laubt, kann doch et­was nicht stim­men mit ihm. Da­von, wie sich die Brust nach ei­ner der­art lan­gen Still­pau­se an­fühl­te, wol­len wir gar nicht erst zu re­den an­fan­gen...

My­thos: Mit Ri­tua­len klappt die Sa­che mit dem Ein­schla­fen dann schon ir­gend­wie. Ein­fach im­mer schön die gut ein­ge­spiel­ten Ab­läu­fe ein­hal­ten, da­mit kei­ne Un­ru­he auf­kom­men kann und schon bald schläft die gan­ze Fa­mi­lie den tie­fen Schlaf der Ge­rech­ten.

Rea­li­tät: Auch dies mag in den meis­ten Fäl­len zu­tref­fen, es gibt aber Kin­der, die sich ei­nen Dreck um die Ri­tua­le und Rhyth­men der Fa­mi­lie sche­ren und ihr ei­ge­nes Ding durch­zie­hen. Kin­der, die re­gel­mäs­sig zwi­schen Mit­ter­nacht und Mor­gen­grau­en die Nacht zum Tag ma­chen, ihre Ge­schwis­ter mit Scho­ko­la­de füt­tern, der im glei­chen Haus wohn­haf­ten Gross­ma­ma ei­nen nächt­li­chen Be­such ab­stat­ten und sämt­li­che Ex­per­ten­tipps Lü­gen stra­fen. Wo­her ich das weiss? Von mei­ner Toch­ter, die ge­nau die­ses lus­ti­ge Spiel gut zwei Jah­re lang mit uns ge­spielt hat. Ruhe kehr­te erst ein, als sie ei­nen klei­nen Bru­der be­kam, der of­fen­bar eine aus­ge­spro­chen be­ru­hi­gen­de Wir­kung auf sie hat­te. 

My­thos: Himm­li­sche Ruhe lässt Ba­bys be­son­ders gut ein- und durch­schla­fen.

Rea­li­tät: Man­che Ba­bys füh­len sich nur si­cher, wenn sie ver­trau­te Ge­räu­sche hö­ren. So­lan­ge es sich bei die­sen Ge­räu­schen um den Atem der Mama, das Ti­cken von Pa­pas We­cker oder das lei­se Ab­spie­len von klas­si­scher Mu­sik han­delt, ist das al­les kein Pro­blem. Schwie­ri­ger wird es, wenn das Kind - so wie un­ser Drit­ter, der mit­ten in ei­ner lan­gen Um­bau­pha­se zur Welt kam - nachts das ver­trau­te Krei­schen der Säge ver­misst und des­we­gen im­mer wie­der zu wei­nen an­fängt. Was wür­den denn die Nach­barn sa­gen, wenn man mit­ten in der Nacht ein paar Bret­ter zer­säg­te, nur da­mit im Kin­der­bett­chen end­lich Ruhe ein­kehrt?

My­thos: Kin­der kön­nen nicht aus­schla­fen. Frü­hes­tens um sechs ist bei den meis­ten Fa­mi­li­en Tag­wa­che.

Rea­li­tät: Die­ser My­thos ist so weit ver­brei­tet, dass sich El­tern nicht dar­über wun­dern soll­ten, wenn kin­der­lo­se Freun­de am Sams­tag­mor­gen um halb acht an­ru­fen, weil sie da­von aus­ge­hen, alle Fa­mi­li­en mit klei­nen Kin­dern sei­en um die­se Zeit oh­ne­hin schon wach. Was sol­che Freun­de nicht wis­sen: Es gibt auch Kin­der wie un­se­ren Zweit­jüngs­ten, des­sen Lei­den­schaft für den Schlaf so gross war, dass er im zar­ten Al­ter von an­dert­halb Jah­ren gut und ger­ne drei Vier­tel des Ta­ges ver­schlief und nicht vor dem Mit­tag­essen wach wur­de. Eine Schlaf­lei­den­schaft also, wie man sie ge­mein­hin nur von Teen­agern er­war­tet. (Auch dies üb­ri­gens ein My­thos. Wie ich aus schmerz­haf­ter Er­fah­rung weiss, gibt es Teen­ager, die je­den Mor­gen vor sechs Uhr wach sind und die sich nur mit gröss­ter Mühe da­von ab­hal­ten las­sen, um sie­ben mit vol­lem Ei­fer in die Tas­ten des Kla­viers zu grei­fen.)

My­thos: In der Hän­ge­mat­te wiegt das Baby sich sel­ber sanft in den Schlaf.

Rea­li­tät: Die Sa­che mit dem "sich sel­ber in den Schlaf wie­gen" kann ich be­stä­ti­gen, aber sanft? Nicht im­mer. Un­ser Jüngs­ter gab sich sel­ber ei­nes Ta­ges so viel Schwung, dass er in ho­hem Bo­gen her­aus­ge­flo­gen wäre, hät­te nicht je­mand, der zu­fäl­lig in der Nähe stand, ihn auf­ge­fan­gen. Muss ich spe­zi­ell er­wäh­nen, dass er die Hän­ge­mat­te seit je­nem denk­wür­di­gen Tag nie wie­der von in­nen ge­se­hen hat, auch wenn der Her­stel­ler in der Ge­brauchs­an­wei­sung das Schau­keln noch ein paar Mo­na­te län­ger ge­stat­tet hät­te? 

Wer mit­ge­zählt hat, hat es ge­merkt: Fünf My­then, fünf Kin­der, die nicht im Traum dar­an den­ken, sich an die­se My­then zu hal­ten. Na­tür­lich kann der eine oder an­de­re gute Tipp im rich­ti­gen Mo­ment end­lich zur er­sehn­ten Nacht­ru­he ver­hel­fen, aber im Gros­sen und Gan­zen ist Schlaf halt doch eine aus­ge­spro­chen in­di­vi­du­el­le An­ge­le­gen­heit. Und er bleibt eine in­di­vi­du­el­le An­ge­le­gen­heit. Dar­um gibt es un­ver­nünf­ti­ge El­tern, die abends, wenn im Kin­der­zim­mer end­lich Ruhe ein­ge­kehrt ist, nicht brav in ihr Bett ge­hen, son­dern sich eine Se­rie rein­zie­hen, ei­nen di­cken Schmö­ker le­sen, sich in der Ba­de­wan­ne ent­span­nen oder an­de­re ver­ant­wor­tungs­lo­se Din­ge tun, die ih­nen den Schlaf rau­ben. Und dies, ob­schon der My­thos weiss, dass Mama und Papa un­aus­steh­lich sind, wenn sie zu we­nig ge­schla­fen ha­ben. Aber halt, ich glau­be das ist jetzt wirk­lich kein My­thos...

Letzte Aktualisierung: 01.11.2016, TV