Ist das hier ein Wunsch­kon­zert?

Schwangerschaftskolumne Woche 8 Girl or Boy?

Ku­gel­bauch-Ko­lum­ne Wo­che 8


„Wie schön, ich gra­tu­lie­re dir zur Schwan­ger­schaft. Was wünschst ihr euch denn? Jun­ge oder Mäd­chen?“.

Die­se Fra­ge ist zu hun­dert Pro­zent nett ge­meint.

Sie er­öff­net ein Ge­spräch über mei­ne Wün­sche und über un­ser klei­nes Baby in mir drin, was wun­der­voll ist.

Aber ich sag’s ganz ehr­lich: Seit ich schwan­ger bin, stört mich die­se Fra­ge ir­gend­wie.

Auch wenn ich sie selbst be­reits so vie­len wer­den­den El­tern ge­stellt habe und ob­wohl ich mir mei­ne Wunsch-Fa­mi­li­en­kon­stel­la­ti­on schon in Teen­ager­ta­gen aus­ge­malt habe. 

Seit ich weiss, dass da wirk­lich ein Mensch in mir wächst, fin­de ich die­se Fra­ge ir­gend­wie blöd.

Ge­nau­er ge­sagt stö­ren mich drei Din­ge an ihr:

Ers­tens kratzt die­se harm­lo­se Fra­ge nach dem Wunsch­ge­schlecht un­se­res Kin­des ganz ge­wal­tig an mei­nem Bild ei­ner per­fek­ten Welt.

„You may say, I’m a drea­mer“, aber ich wün­sche mir für die nächs­te Ge­nera­ti­on von Er­den­bür­gern so sehr eine Welt, in wel­cher das Ge­schlecht ab­so­lut gar kei­ne Rol­le spielt. 

Ich wün­sche mir we­der Jun­ge noch Mäd­chen. Ich wün­sche mir ein Kind, wel­ches al­les sein darf, was es will, egal mit wel­chem Ge­schlechts­teil es aus­ge­stat­tet wur­de.

Wie schön wäre es doch, wenn auf­grund der Wor­te „Mäd­chen“ und „Jun­ge“  le­dig­lich ge­wis­se ana­to­mi­sche Merk­ma­le, je­doch ab­so­lut gar kei­ne Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten er­war­tet wür­den. 

Wenn Sät­ze wie „Das ist doch nichts für ei­nen Jun­gen!“ oder „So­was kön­nen Mäd­chen nicht!" nur noch in Ge­schichts­bü­chern zu le­sen wä­ren. 

Das ist es, was ich mir wün­sche. 

Wei­ter kann ich lei­der nicht mal gu­ten Ge­fühls auf die be­son­ders wei­se Ant­wort: „Haupt­sa­che ein ge­sun­des Kind!“ aus­wei­chen. 

Denn ganz ehr­lich: Was, wenn nicht? Was, wenn nicht ge­sund?  

Na­tür­lich wün­sche ich un­se­rem Baby alle Ge­sund­heit die­ser Welt. Doch durf­te ich in mei­nem Le­ben schon vie­le Leu­te ken­nen­ler­nen, die nicht durch und durch ge­sund und trotz­dem aus tie­fem Her­zen glück­lich sind.

Des­halb ant­wor­te ich wohl auch nicht mit „Haupt­sa­che ge­sund!“, son­dern lie­ber mit „Haupt­sa­che glück­lich!“.

Und auch wenn man wohl spä­tes­tens jetzt denkt, ich sol­le die­se lieb ge­mein­te Fra­ge doch nicht der­art zer­reis­sen, rup­fe ich ihr auch noch das letz­te gute Haar vom Kopf.

Denn drit­tens stört mich die lei­se Er­war­tung an un­ser Baby, wel­che die Fra­ge nach dem Wunsch­ge­schlecht be­inhal­tet. 

Na­tür­lich darf ich mir ei­nen Jun­gen oder ein Mäd­chen wün­schen. Doch ich möch­te auf­pas­sen, dass mei­ne Wün­sche nicht heim­lich zu Er­war­tun­gen mu­tie­ren. 

Denn wenn ein Wunsch nicht in Er­fül­lung geht, wird er zu ei­nem Traum.

Wenn eine Er­war­tung nicht in Er­fül­lung geht, wird sie zur Ent­täu­schung. 

Die wohl ers­te In­for­ma­ti­on, wel­che ich über un­ser Kind er­fah­ren wer­de, wird sein Ge­schlecht sein. Ich möch­te nicht, dass un­ser Kind als ers­te Re­ak­ti­on auf sein Da­sein mei­ne Ent­täu­schung spürt.

Also lau­tet mei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge ab­schlies­send wohl: 

„Wenn ich mir für un­ser Kind et­was wün­schen darf, dann ist es, dass es sich frei von jeg­li­chen Er­war­tun­gen ent­wi­ckeln und glück­lich le­ben darf!“

Die Ko­lum­nis­tin

Schwangerschaftskolumne_Portrait_Giulietta

Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.

Letzte Aktualisierung: 11.06.2021, GM

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