Sexualerziehung - mehr als nur ein Aufklärungsgespräch

Wie Eltern ihr Kind in der sexuellen Entwicklung begleiten können.

Mutter schaut mit ihrem Kind ein Bilderbuch an
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Egal, wie aufgeschlossen Eltern auch sein mögen - beginnt das Kind, Fragen zur Sexualität zu stellen, kommt schnell einmal Verunsicherung auf. Wie viel müssen Kinder wissen? Wie detailliert müssen die Antworten auf ihre Fragen ausfallen? Und wie entwickeln sie ein positives Verhältnis zu ihrem Körper und zur eigenen Sexualität? 

Worum geht es bei der Sexualerziehung?


Sexualerziehung umfasst weitaus mehr als dieses eine Aufklärungsgespräch, bei dem Kinder erfahren, wie das mit der Fortpflanzung funktioniert. Wissensvermittlung ist zwar ein wichtiger Aspekt. Kinder sollen auf altersgerechte Weise vermittelt bekommen, was ihr Körper alles kann, wie er sich im Laufe der Zeit entwickelt, was es mit der Liebe unter Erwachsenen auf sich hat und wie neues Leben entsteht. 

Ziel der Sexualerziehung ist jedoch ausserdem, Kinder in ihrer sinnlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung zu begleiten, ihre Selbstbestimmung zu fördern und ein positives Körpergefühl zu stärken. Es geht also auch darum, Gefühle zu erkennen und zu achten, sich mit Rollenbildern und Vorbildern auseinanderzusetzen, zu lernen, wie Beziehungen funktionieren, einen guten Umgang mit Intimität und Grenzen zu finden und sorgsam mit dem eigenen Körper umzugehen. 

Sexualerziehung findet mitten im Alltag statt, zum Beispiel, wenn Eltern bei der Körperpflege die verschiedenen Körperteile benennen und dabei auch die Geschlechtsorgane erwähnen. Indem sie das Kind darin anleiten, den eigenen Körper zu pflegen und zu schätzen. Indem sie das kindliche Nein akzeptieren, wenn es nicht umarmt werden möchte oder seine Privatsphäre respektieren, wenn es z. B. alleine im Bad sein möchte. Indem sie ihr Kind nicht davon abhalten, seinen eigenen Körper zu erkunden. Indem sie ihm auf altersgerechte Weise erklären, wie das Geschwisterkind in den Bauch der Mama gekommen ist und in vielen weiteren alltäglichen Situationen. 

Warum ist Sexualerziehung wichtig?


Kinder kommen schon früh in Kontakt mit dem Thema Sexualität. Beispielsweise, indem sie Wörter aufschnappen, die sie nicht verstehen, mit anderen Kindern "Doktorspiele" spielen oder in den Medien sexuell aufgeladene Bilder sehen. Später dann bekommen sie auf dem Pausenhof Halbwissen mit oder sie begegnen beim Surfen im Internet Inhalten, die verstörend sein können. 

Ein Kind, das von seinen Eltern Antworten auf seine vielen Fragen bekommt, wird dadurch weniger überfordert, denn es weiss über viele Dinge bereits Bescheid. Erlebt es zu Hause, dass Sexualität kein Tabuthema ist, fällt es ihm leichter, sich bei Dingen, die ihm unangenehm sind, an die Eltern zu wenden. Schliesslich ist es auch eher in der Lage, Grenzen zu ziehen und Hilfe zu holen, falls diese Grenzen verletzt wurden. Ein Kind hingegen, das gelernt hat, dass Sexualität etwas "Schmutziges" ist, über das man nicht redet, kann sich nicht hilfesuchend an Erwachsene wenden. Sexualerziehung ist unter anderem also ein wichtiger Schutz vor Missbrauch

Zur Sexualerziehung gehört auch, ein Kind in der Vorpubertät auf die Veränderungen vorzubereiten, die es erwarten. Weiss das Kind bereits im Voraus, was mit ihm passiert, ist es weniger verunsichert, wenn die Körperbehaarung zu spriessen beginnt, die erste Mens eintritt oder die Stimme im Stimmbruch immer so eigenartig schwankt. Und wenn es etwas später gut über Verhütung und Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten informiert wird, lernt es von Anfang an einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität. Auch hier gilt wieder: Ist das Thema nicht mit Scham behaftet, ist das Risiko geringer, dass das Kind sein Wissen aus dubiosen Quellen beziehen muss. Es ist sich von früh auf gewohnt, sich selbst mit Anliegen, die ihm etwas peinlich sind, an Erwachsene zu wenden. 

Häufige Elternfragen zur Sexualerziehung


Insbesondere, wenn Sexualität in der eigenen Kindheit ein Tabuthema war, fühlen sich Eltern mit der Sexualerziehung oftmals überfordert. Es ist deshalb wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie die eigene Sexualaufklärung war und was gleich oder anders laufen soll. Bei dieser Auseinandersetzung kommen auch ganz konkrete Fragen auf: 

Wie soll man die Genitalien benennen?


Genau so, wie ein Kleinkind mit der Zeit seinen Kopf, seine Füsse, seinen Bauchnabel und seine Finger benennen kann, soll es wissen, wie seine Geschlechtsteile heissen. So lernt es, dass man über diese Körperregion reden darf wie über jede andere. Bei einem kleinen Kind können Sie dabei auf Wörter zurückgreifen, die in Ihrer Familie geläufig sind. Spätestens im Kindergartenalter sollte es aber auch korrekte Bezeichnungen wie Penis oder Vulva kennen. Mit der Zeit sollte es zudem die einzelnen Bestandteile der Geschlechtsorgane benennen können, also z. B. Vulvalippen, Scheide, Hoden, Eichel etc. Ein Kind, das diese Begriffe kennt, kann klar benennen, wo es Schmerzen hat oder wo es unangemessen berührt worden ist. 

Wie ausführlich müssen die Antworten auf Kinderfragen sein?


Kleine Kinder geben sich mit kurzen Antworten zufrieden. Sie brauchen also nicht bis ins kleinste Detail zu erklären, was Eltern nachts im Schlafzimmer tun. Wichtig ist, dass Ihre Antwort altersgerecht und wahrheitsgetreu ist. Grössere Kinder möchten es dann meist etwas genauer wissen. Falls Sie sich unsicher fühlen, können Sie auf eine breite Auswahl an Kinderbüchern zum Thema zurückgreifen.

Müssen Eltern alle Kinderfragen beantworten?


Grundsätzlich sollte es auf dem Gebiet der Sexualität keine verbotenen Fragen geben. Falls Sie jedoch gerade nicht wissen, was Sie antworten sollen, dürfen Sie durchaus sagen, dass Sie sich die Sache erst einmal überlegen müssen. Kommen Sie dann aber unbedingt auf das Thema zurück, denn Ihr Kind hat ein Recht auf eine Antwort. 

Bei sehr intimen Fragen, die Ihr eigenes Sexualleben betreffen, dürfen Sie Ihrem Kind auch erklären, dass sie keine Antwort geben möchten, weil das Thema zu persönlich ist für Sie. Damit vermitteln Sie ihm: Auch Erwachsene haben ein Recht auf Privatsphäre und die Grenzen, die andere ziehen, sind zu respektieren. 

Wie stärkt man ein positives Körpergefühl?


Vom allerersten Tag an macht ein Baby positive Körpererfahrungen, wenn es getragen, gewiegt, gestreichelt und gestillt wird. Diese Erfahrungen sind sehr wichtig für die Entwicklung eines guten Körpergefühls. 

Zu einem positiven Körpergefühl gehört auch das Spüren, was sich gut anfühlt und was nicht. Ermöglichen Sie Ihrem Kind verschiedene Sinneserfahrungen. Akzeptieren Sie sein Nein, wenn sich etwas nicht gut anfühlt - auch dann, wenn Sie es gerne knuddeln möchten und Ihr Kind dies gerade nicht will. 

Im Kleinkindalter beginnen Kinder, Vergleiche anzustellen: Wer ist grösser? Warum sind die Haare der Mama heller als die eigenen? Warum hat der Babybruder einen Penis? In diesem Alter ist es wichtig, Kindern zu vermitteln, dass jeder Körper ein wenig anders und trotzdem gut ist. Indem Sie Ihrem Kind erklären, was im Körper alles passiert, lernt es, was für ein komplexes Wunderwerk dieser ist. 

Später dann ziehen Kinder Vergleiche zu Bildern, die sie in den Medien sehen. Dabei stellen manche schon früh fest, wie sehr sie sich von der mutigen Hauptdarstellerin aus der Lieblingsserie oder dem Superhelden aus dem Kinofilm unterscheiden. Kinder müssen deshalb wissen, dass diese Bilder inszeniert, bearbeitet oder mit KI erstellt sind und dass echte Menschen ganz unterschiedlich aussehen und trotzdem schön sind. 

Schliesslich ist auch Ihr eigenes Vorbild von grosser Bedeutung: Lassen Sie jedes Mal vor dem Spiegel eine selbstkritische Bemerkung fallen, prägt dies Ihr Kind. Und wenn Sie selber nicht auf Ihre Gesundheit achtgeben, können Sie ihm nicht vermitteln, wie wichtig es ist, sorgsam mit dem eigenen Körper umzugehen. 

Wie reagieren, wenn das Kind seine Genitalien erkundet?


So, wie ein Baby seine Finger und seine Füsschen erkundet, inspiziert es auch seine Genitalien. Dabei spürt es, dass sich dies gut anfühlt. Etwa ab drei Jahren beginnen viele Kinder, sich gezielt Befriedigung zu verschaffen. Dies alles hat nichts mit erwachsener Sexualität zu tun, sondern ist Teil der normalen kindlichen Entwicklung. Unterbinden Sie diese Erkundungen deshalb nicht. Mit der Zeit sollten Kinder jedoch lernen, dass es nicht überall angebracht ist, die eigenen Genitalien zu berühren oder zu stimulieren. Beschämen Sie Ihr Kind nicht, sondern erklären Sie ihm, dass es dies z. B. in seinem Zimmer, im Bett oder in der Kuschelecke tun darf. 

Wie reagieren bei "Doktorspielen"?


Auch die Neugierde, wie andere Kinder unter den Kleidern aussehen, gehört zur kindlichen Entwicklung. Sogenannte "Doktorspiele" sind deshalb ganz normal und müssen nicht verboten werden. Auch hier handelt es sich nicht um erwachsene Sexualität, sondern um Entdeckungsdrang. Allerdings sollten Kinder einige Regeln kennen:

  • Jedes Kind bestimmt selbst, ob, mit wem und wie lange es diese Spiele spielen möchte. Niemand wird zu etwas gezwungen und jedes Kind darf aussteigen, wenn es nicht mehr mitmachen möchte.

  • Jedes Kind bestimmt selbst, welche "Untersuchungen" es akzeptiert und welche nicht.

  • Es werden keine Gegenstände in Körperöffnungen eingeführt, da dies Verletzungen verursachen kann. Kein Kind fügt dem anderen Schmerzen zu. 

  • Die Kinder sind einander alters- und kräftemässig ebenbürtig. Ältere Kinder und Erwachsene spielen bei solchen Spielen nicht mit. 

  • Fühlt sich ein Kind unwohl und holt Hilfe, ist dies kein Petzen. 

Wie umgehen mit anstössigen Wörtern?


Ab dem Kindergartenalter schnappen Kinder ziemlich viele derbe Wörter auf und weil sie damit bei Erwachsenen eine Reaktion provozieren können, wiederholen sie diese mit Vergnügen. Bleiben Sie ruhig und fragen Sie Ihr Kind, ob es denn weiss, was es da sagt. In den meisten Fällen wird es keine Ahnung haben. Erklären Sie ihm auf verständliche Weise, was das Wort bedeutet und sagen Sie ihm, warum Sie es nicht oder nur bei bestimmten Gelegenheiten akzeptieren. 

Was tun, wenn das Kind die Eltern beim Sex "ertappt"?


Egal, wie peinlich Ihnen die Situation auch ist - bleiben Sie gelassen, denn Sie haben nichts Verbotenes getan. Beenden Sie aber die sexuelle Handlung umgehend. Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie einander sehr lieb haben und sich deshalb nahe sein möchten. Beantworten Sie seine Fragen, ohne ihm mehr erklären zu wollen, als es eigentlich wissen möchte. Meist will es einfach erfahren, was da los war und hat kein Interesse an Details. Älteren Kindern können Sie vermitteln, dass sie anklopfen sollen, bevor sie ins Elternschlafzimmer kommen - genau so, wie Sie bei einem Teenager auch nicht einfach unangemeldet ins Zimmer platzen. 

Letzte Aktualisierung: 17.11.2025, TV