Nun lach gefälligst wieder!

weinendes Kind reibt sich die Augen
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Angenommen, Sie haben einen richtig miesen Tag. Alles, was Sie sich vorgenommen haben, läuft schief. Dann rammt Ihnen beim Einkaufen noch jemand einen Einkaufswagen in die Achillessehne, wegen einer Kleinigkeit geraten Sie sich mit Ihrem Partner in die Haare, auf dem Bürotisch stapeln sich die unbezahlten Rechnungen, Ihnen fällt ein, dass Sie bei der Arbeit etwas Wichtiges vergessen haben und die Dreijährige verziert die Wohnzimmerwand mit Fingerfarbe. Als dann noch die Nachbarin vor der Tür steht, um sich über Blockflötenspiel Ihres Sohnes zu beklagen, ist es um Ihre gute Laune endgütig geschehen. Genervt murmeln Sie: "Entschuldigung, er muss halt auch mal üben", lassen die Tür ins Schloss fallen und hoffen, dass die unmusikalische Nervensäge die Tränen der Wut nicht gesehen hat, die Ihnen übers Gesicht laufen. Zum Abreagieren versetzen Sie den Schuhen, die im Flur herumliegen, einen Tritt. Mit hängendem Kopf und laut schniefend sitzen Sie wenig später am Küchentisch. 

Was würde Ihnen in einem solchen Moment gut tun?

Vielleicht jemand, der Ihnen mit einem Taschentuch im Gesicht herumfummelt, um die Spuren der Tränen wegzuwischen und Ihnen dabei unablässig sagt: "Nun wein nicht. Ist doch alles halb so schlimm. Willst du denn gar nie mehr lachen?"

Oder hätten Sie lieber eine kleine, nette Standpauke: "Bist du von Sinnen? Die Tür zu knallen, die Schuhe zu kicken und jetzt mit saurer Miene herumzusitzen... Ist dir eigentlich bewusst, wie teuer das wird, wenn wir deinetwegen die Tür reparieren lassen müssen? Wenn du so weitermachst, können wir uns die nächsten Ferien abschminken." 

Na ja, möglicherweise bevorzugen Sie auch die lustige Tour. Jemand, der Ihre Fußsohlen kitzelt, Grimassen schneidet, so tut, als würde er Ihnen die Nase abreissen und dazu dümmliche Geräusche von sich gibt. Und das so lange, bis Ihre schlechte Laune verflogen ist. 

Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass Ihnen eine kleine Moralpredigt gut tun würde. Was halten Sie von dem Thema "So finde ich einen konstruktiven Umgang mit negativen Emotionen"? Oder würde Ihnen etwas in Richtung "Von der Kunst, allzeit glücklich zu sein" eher zusagen? Ein paar praktische Tipps, wie Sie sich in ähnlichen Situationen besser im Griff haben, würden Ihnen jetzt bestimmt weiterhelfen.

Aber vielleicht möchten Sie in einer solchen Situation einfach nur hören: "Du bist traurig? Na, dann lass uns doch jetzt gleich in einen Vergnügungspark fahren. Dort essen wir eine riesige Pizza und so viel Dessert, wie du willst und wir haben richtig viel Spass auf der Achterbahn. So wirst du bestimmt schnell wieder fröhlich."

Wie? Sie finden, das alles sei jetzt überhaupt nicht angebracht? Sie möchten einfach nur eine Weile lang alleine sein, um sich den Frust von der Seele zu heulen? Ob Sie sich bei jemandem entschuldigen müssen und wie Sie dem Tag eine bessere Wendung geben können, wollen Sie sich dann überlegen, wenn Sie sich wieder gefangen haben?

Ich kann Sie nur zu gut verstehen. Manchmal braucht man doch einfach ein wenig Zeit, um sich wieder zu fassen. Und manchmal muss man auch akzeptieren, dass es an diesem Tag nichts mehr wird mit der guten Laune. Mehr als Schadensbegrenzung liegt dann einfach nicht mehr drin.

Warum nur fällt es uns Erwachsenen so schwer, zu akzeptieren, dass es unseren Kindern ganz ähnlich geht? Dass sie sich nach einem Sturz erst mal ausheulen wollen, ehe sie wieder lachen mögen. Dass sie nach dem Streit mit dem besten Freund Dampf ablassen möchten, bevor sie bereit sind, über den Weg der Versöhnung nachzudenken. Dass sie sich mit einer Enttäuschung abfinden müssen und nichts mit dem Trösterli anfangen können, das wir anbieten. Dass sie an manchen Tagen einfach mies drauf sind, ganz egal, wie sehr wir uns darum bemühen, sie aufzuheitern. 

In der Theorie mögen wir wissen, dass die lieben Kleinen lernen müssen, mit ihren Gefühlen - den angenehmen und den unangenehmen - umzugehen. Dennoch setzen wir alle Hebel in Bewegung, um Traurigkeit, Wut, Trotz und schlechte Laune so schnell als möglich aus der Welt zu schaffen. Kaum zieht ein Wölkchen am azurblauen Himmel der perfekten Kindheit auf, stehen wir bereit, um das Unding zu vertreiben, das die strahlende Sonne verdeckt. Kinder müssen doch glücklich und zufrieden sein, nicht wahr? Sonst könnte man am Ende noch auf die Idee kommen, sie hätten schlechte Eltern. 

Je nachdem, wie wir mit dem Gefühlsausbruch des Kindes klarkommen, sieht unsere Reaktion unterschiedlich aus: Zerreißt es uns fast das Herz, die Tränen zu sehen, überschütten wir das Kind mit Zärtlichkeit und tröstenden Worten. Haben wir keine Lust auf schlechte Laune, unternehmen wir krampfhafte Versuche, das Kind mit Faxen und missratenen Witzen aufzuheitern. Sind wir es leid, stets die gleiche alte Leier durchzuspielen, kramen wir gute Ratschläge und Moralpredigten hervor, in der Hoffnung, das Kind begreife endlich, warum das so nicht gehen kann. Sind wir mit unserem Latein gänzlich am Ende, greifen wir auf das gute alte Ablenkungsmanöver zurück. Je nachdem, wie verzweifelt wir gerade sind, reicht dieses von einem ziemlich gelassenen "Hast du das Büsi gesehen? Ist es nicht herzig?" hin zu einem nahezu panischen: "Ich geb' dir alles, was du dir je gewünscht hast, wenn du nur endlich aufhörst zu weinen."

Wir geben uns ja so furchtbar viel Mühe, dass am azurblauen Himmel der perfekten Kindheit allzeit die Sonne scheint. Dabei könnten wir uns den ganzen Aufwand sparen.

Denn was tut unser kleiner Engel? Stapft zornig von dannen und brüllt: "Lass mich doch endlich in Ruhe!" 

Weil er halt auch nur ein kleiner Mensch ist, der erst mal mit seinem Frust fertigwerden muss, bevor er wieder lachen mag. Und weil er seinen Kummer ohne unser Zutun wohl viel schneller überwunden hätte. Immerhin gelingt den meisten kleinen Menschen der Launenwechsel fast so schnell wie dem Chamäleon der Farbwechsel. 

Letzte Aktualisierung: 13.08.2018, TV