Verdacht auf Long Covid - wie weiter?

Warum Sie Ihre Grenzen auf keinen Fall überschreiten sollten, wenn Sie befürchten, an Long Covid erkrankt zu sein.

Frau liegt auf dem Rücken und hält die Hände vor die Augen
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Wenn nach einer Covid-Infektion Langzeitfolgen auftreten, ist dies zunächst einmal beunruhigend - und sehr verunsichernd. Wie kann es bloss sein, dass der Körper plötzlich so anders reagiert und dass Dinge, die bislang selbstverständlich waren, nicht mehr funktionieren? Und wie muss man mit einer Krankheit umgehen, die den gewohnten Alltag komplett auf den Kopf stellt?

Was ist ein "Crash"?


Eines der ersten Anzeichen, das viele Betroffene ahnen lässt, dass etwas nicht mehr in Ordnung ist, ist die mangelnde Belastbarkeit. Nach einer Viruserkrankung brauchen zwar die meisten Menschen etwas Zeit, um sich wieder richtig zu erholen. Doch die Erfahrungen bei Long Covid übersteigen dieses gewohnte Mass. 

Da kann es beispielsweise passieren, dass Sie wie gewohnt einkaufen wollen und nach wenigen Minuten im Laden geht plötzlich gar nichts mehr. Der Kopf fühlt sich an wie Watte, die einfachsten Worte wollen Ihnen nicht einfallen und Sie schaffen es nur mit Mühe, an der Kasse zu bezahlen und nach Hause zu kommen. Dort müssen Sie sich sofort hinlegen und sich ausruhen; vielleicht für ein paar Stunden, vielleicht aber auch für mehrere Tage

Die Zustandsverschlechterung, die nach einer körperlichen, geistigen, sozialen, emotionalen oder sensorischen Überanstrengung auftritt, wird Post Exertional Malaise (PEM) genannt. Dieses ausgeprägte Unwohlsein bezeichnen viele Betroffene als "Crash", also als Zusammenbruch oder Absturz. Manche erleben ihren ersten Crash schon kurz nach der akuten Covid-Infektion. Andere fühlen sich anfänglich wieder gesund und bemerken die Veränderungen erst einige Wochen oder Monate später.

Long Covid-Betroffene, die an einer Belastungsintoleranz leiden, "crashen" immer dann, wenn sie über ihre Belastungsgrenze hinausgehen. Wo diese Grenze liegt, ist sehr individuell. Bei manchen reicht schon ein lautes Geräusch oder grelles Licht. Andere sind nach einem zwanzigminütigen Telefongespräch, nach einer kurzen Busfahrt oder nach einem Spaziergang mit ihrer Energie am Ende. Der Crash kann sofort nach einer Überlastung auftreten oder mit einer Verzögerung von etwa ein bis drei Tagen. Auch die Dauer kann ganz unterschiedlich sein - von einigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen ist alles möglich.

Was ist Pacing und warum ist es so wichtig?


Etwas vom Wichtigsten, was Sie lernen müssen, ist das Vermeiden von Crashes. Jeder dieser Zusammenbrüche birgt das Risiko einer Zustandsverschlechterung, die unter Umständen dauerhaft ist. Anders als bei anderen Krankheiten, wo man versucht, die Aktivitäten allmählich zu steigern, um wieder auf die Füsse zu kommen, gilt es hier, so gut als möglich unter der Belastungsgrenze zu bleiben. Dazu ist es wichtig, das sogenannte "Pacing" zu erlernen.

Beim Pacing geht es darum, die vorhandenen Energiereserven so einzuteilen, dass Sie Ihre Grenzen nicht überschreiten. Sie müssen also erst einmal herausfinden, welche Aktivitäten Ihnen wie viel Energie abverlangen. Manche Betroffene stellen sich beispielsweise vor, wie viele Löffel Energie ihnen jeden Tag zur Verfügung stehen und wie viel davon einzelne Tätigkeiten verbrauchen. Andere rechnen mit einem täglichen "Taschengeld" von zehn Franken. Duschen und Körperpflege kosten dann vielleicht zwei Franken, eine Mahlzeit zubereiten vier Franken und ein Gespräch zu führen ebenfalls vier Franken.

Wie weit das "Sackgeld" reicht, ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Betroffenen ist es nach Frühstück und Körperpflege bereits aufgebraucht. Bei anderen liegen noch einige Stunden Schreibtischarbeit drin. Ist das Budget erst mal überzogen, bleibt für den nächsten Tag entsprechend weniger übrig.

Ob Sie nun lieber mit Löffeln oder mit Franken rechnen, wichtig ist, das Energiebudget gut einzuteilen. Dabei sind Checklisten oder das Führen eines Tagebuchs hilfreich. Eine Ergotherapeutin, die sich mit Long Covid auskennt, kann Ihnen ebenfalls helfen, das Pacing einzuüben. Auch Fitnesstracker und Smartwatches sind nützlich, um die Belastungsgrenzen zu erkennen. So gibt es beispielsweise Apps, die warnen, wenn Sie Ihrem Körper zu viel zumuten.

Wichtig

Unsere Artikelserie zum Thema Long Covid bietet einen groben Überblick zu einem äusserst komplexen Krankheitsbild, zu dem laufend neue Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Weiterführende Informationen, die mehr ins Detail gehen, finden Sie beispielsweise bei der Patientenorganisation Long Covid Schweiz.

Mit der Bezeichnung "Long Covid" ist in unseren Artikeln das Krankheitsbild gemeint, das mit chronischer Fatigue, Belastungsintoleranz, Konzentrationsstörungen ("Brain Fog") und einer Vielzahl von weiteren Symptomen einhergeht.

Warum es wichtig ist, sich gut ins Thema Long Covid einzulesen


Als Long-Covid-Betroffene sollten Sie sich gut ins Thema einlesen, auch wenn Sie dies viel Kraft kostet. Dafür gibt es zwei Gründe:

  • Die Wartefristen bei Long-Covid-Sprechstunden und bei den wenigen Ärzten, die bereits viel Erfahrung mit Long-Covid-Patientinnen haben, sind lang. Es kann also ziemlich dauern, bis Sie Antworten auf Ihre vielen Fragen bekommen. Weil aber das Vermeiden von Crashes und das Erlernen von Pacing von Anfang an wichtig sind, brauchen Sie möglichst früh zuverlässige Infos zu diesen Themen.

  • Obschon Langzeitfolgen auch von anderen Viren bekannt sind, ist das Wissen über das Krankheitsbild Long Covid noch nicht sehr weit verbreitet. Sie können deshalb nicht davon ausgehen, dass Ihre Hausärztin oder Ihr Physiotherapeut sich vertieft damit auseinandergesetzt hat. Da kann es wichtig sein, die für Sie relevanten Informationen präsent zu haben und gezielt danach zu fragen. Damit Ihnen das Gedächtnis keinen Strich durch die Rechnung macht, notieren Sie sich zu Hause die Punkte, die Sie ansprechen wollen und drucken Sie sich Unterlagen aus, die Sie möglicherweise im Gespräch brauchen. 

Eine gute Anlaufstelle für Informationen rund um Long Covid sind Patientenorganisationen. Auf Social Media können Sie sich zudem mit anderen Betroffenen austauschen. Widerstehen Sie jedoch der Versuchung, ohne ärztliche Empfehlung alles auszuprobieren, was dort als "Wundermittelchen" angepriesen wird. Erstens gibt es leider keine Wundermittel gegen die Krankheit, sondern lediglich Möglichkeiten zur Symptomlinderung. Und zweitens muss das, was anderen geholfen hat, bei Ihnen nicht zwingend auch wirksam sein. Bei einem Krankheitsbild mit so vielen verschiedenen Symptomen sprechen nicht alle Betroffenen gleich gut auf die unterschiedlichen Methoden zur Linderung an. 

Soll ich mich direkt an einen Spezialisten wenden?


Wenn Sie den Verdacht haben, an Long Covid erkrankt zu sein, liegt der Gedanke nahe, sich direkt an eine Spezialsprechstunde oder eine auf diesem Gebiet erfahrene Ärztin zu wenden. Long Covid ist jedoch eine sogenannte Ausschlussdiagnose. Andere Ursachen für Ihre Beschwerden müssen also erst einmal ausgeschlossen werden. Dazu braucht es Standarduntersuchungen, die auch Ihr Hausarzt durchführen kann oder für die Sie an eine entsprechende Spezialistin weiterverwiesen werden. 

Bitte denken Sie daran, wenn Sie zu diversen Untersuchungen aufgeboten werden und vielleicht Physio- oder Ergotherapie verordnet bekommen: Auch beim Vereinbaren von Terminen ist das Pacing wichtig. Planen Sie genügend Erholungszeit zwischen den Terminen ein und lassen Sie sich nach Möglichkeit von jemandem begleiten. Gerade bei langen Anfahrtswegen oder zeitaufwendigeren Untersuchungen schwinden Ihre Energiereserven möglicherweise schneller als üblich. Eine Begleitperson kann die Fragen stellen, die Ihnen auf dem Herzen liegen, wenn Sie selber zu erschöpft sind. Und sie kann nachhaken, wenn Sie sich nicht verstanden fühlen, jedoch keine Kraft haben, dies anzusprechen.

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