Heb­am­men­ge­lei­te­te Ge­burts­hil­fe in Schwei­zer Spi­tä­lern 

Gebärende in der Wanne

swiss­mom: Lie­be Frau Dr. Sto­cker,  was ge­nau be­deu­tet heb­am­men­ge­lei­te­te Ge­burts­hil­fe? 

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Die heb­am­men­ge­lei­te­te Ge­burts­hil­fe ist eine Form der Ge­burts­be­treu­ung, die eine al­lei­ni­ge Ge­burts­be­treu­ung durch die Heb­am­me der Ge­bä­ren­den und Schwan­ge­ren ohne ärzt­li­ches Bei­sein be­inhal­tet. Es exis­tie­ren in der Schweiz und im nä­he­ren Aus­land be­reits ver­schie­de­ne Mo­del­le. Die ers­ten Mo­del­le wa­ren die Ge­burts­häu­ser. Ak­tu­ell sind ver­schie­de­ne Mo­del­le im Auf­bau, die par­al­lel zur Stan­dard-Kli­nik­be­treu­ung ein­ge­führt wer­den. 

swiss­mom: An wen wür­de sich die­ses An­ge­bot in Schwei­zer Spi­tä­lern rich­ten?

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Die Heb­am­men­ge­bur­ten sind für ge­sun­de Frau­en ohne me­di­zi­ni­sche Ri­si­ko­fak­to­ren, bei de­nen eine nor­ma­le Ge­burt zu er­war­ten ist. 

Zur Per­son

Frau Dr. med Gabriella Stocker ist Stellvertretende Chefärztin der Geburtshilfe in der Frauenklinik Triemli in Zürich. Frau Dr. Stocker äussert sich im Namen der Schweizerischen Gynäkologen-Gesellschaft (gynécologie suisse) zur Petition des Hebammenverbandes zur Einführung hebammengeleiteter Geburtshilfe in Schweizer Spitälern, die in den letzten Wochen in den Medien hohe Wellen geschlagen hat.

swiss­mom: Hät­ten die Frau­en wei­ter­hin die Wahl­mög­lich­keit, von wem sie sich be­treu­en las­sen wol­len? 

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Mit der Heb­am­men­ge­burt hat die Frau die­sel­ben Wahl­mög­lich­kei­ten wie bis­her. Bei dem Be­leg­heb­am­men­sys­tem hat sie so­gar eine Wahl mehr, sie kann die ihr be­reits aus der Schwan­ger­schaft be­kann­te Heb­am­me mit­brin­gen. Die­ses Sys­tem gab es bis vor kur­zem nur bei den Be­leg­ärz­tin­nen und Be­leg­ärz­ten. Es gibt Spi­tä­ler, die noch zwi­schen ei­ner rei­nen Heb­am­men­ge­burt und ei­ner Be­leg­heb­am­men­ge­burt un­ter­schei­den, bei der die Ärz­tin oder Arzt auch dazu kommt. Die Frau kennt ihre be­treu­en­den Per­so­nen so­mit be­reits vor We­hen­be­ginn. Ich per­sön­lich sehe die Heb­am­men­be­treu­ung als Er­gän­zung im Sys­tem, in dem die Schwan­ge­re viel mehr Wahl­mög­lich­kei­ten hat als frü­her.

swiss­mom: Wird es für eine Frau, die sich für die heb­am­men­ge­lei­te­te Be­treu­ung ent­schie­den hat, wei­ter­hin mög­lich sein, ei­ni­ge Un­ter­su­chun­gen (z.B. Ul­tra­schall) bei ih­rer Ärz­tin/ ih­rem Arzt durch­füh­ren zu las­sen? 

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Die Heb­am­men sind aus­ge­bil­det, eine nor­mal ver­lau­fen­de Schwan­ger­schaft zu be­treu­en. Die meis­ten Heb­am­men ar­bei­ten mit ei­nem Arzt oder Ärz­tin zu­sam­men, die die Ul­tra­schall­un­ter­su­chun­gen vor­nimmt oder auch bei Auf­tre­ten von Re­gel­wid­rig­kei­ten in der Schwan­ger­schaft die wei­te­re Be­treu­ung über­nimmt. Vie­le Schwan­ge­re las­sen sich auch am Ende ei­ner nor­mal ver­lau­fen­den Schwan­ger­schaft von der Ärz­tin zu ei­ner Heb­am­me über­wei­sen für die letz­ten Kon­trol­len und zur Ge­burt. 

swiss­mom: Gibt es in der Schweiz oder im Aus­land be­reits Er­fah­run­gen mit heb­am­men­ge­lei­te­ten Ab­tei­lun­gen in Spi­tä­lern?  

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: In Eng­land und auch in Hol­land sind seit vie­len Jah­ren sol­che Mo­del­le vor­han­den. Seit 10 Jah­ren sind die Heb­am­men­ge­bur­ten im Spi­tal in Deutsch­land im Auf­bau, mit viel­ver­spre­chen­den Re­sul­ta­ten. Die Zah­len sind noch nicht sehr gross, zei­gen aber eine gleich­wer­ti­ge Si­cher­heit für Mut­ter und Kind. Die Heb­am­men­kreiss­sä­le sind dort im­mer Ge­burts­kli­ni­ken mit ärzt­li­chem Per­so­nal an­ge­glie­dert, um die Be­hand­lung von Not­fall­si­tua­tio­nen un­ter der Ge­burt zu ge­währ­leis­ten.   

swiss­mom: In der Schweiz ist bei Spi­tal­ge­bur­ten schon heu­te im­mer eine Heb­am­me an­we­send. War­um braucht es die Pe­ti­ti­on des Heb­am­men­ver­ban­des noch?

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Die Pe­ti­ti­on der Heb­am­men for­dert nicht die An­we­sen­heit ei­ner Heb­am­me un­ter der Ge­burt, das ist in der Schweiz un­be­strit­ten. Die For­de­rung der Heb­am­men geht da­hin, al­lei­ne ohne die Ärz­te­schaft Ge­bur­ten durch­füh­ren zu kön­nen, um als selb­stän­di­ge und kom­pe­ten­te Be­rufs­grup­pe wahr­ge­nom­men zu wer­den. Die Heb­am­men sind heu­te Stu­di­en­ab­gän­ge­rin­nen und sind brei­ter aus­ge­bil­det als frü­her. 

swiss­mom: In den Me­di­en wur­de viel über die Pe­ti­ti­on zur heb­am­men­ge­lei­te­ten Ge­burts­hil­fe be­rich­tet. Zum Teil wur­de der Ein­druck er­weckt, Heb­am­men und Ärz­te wür­den sich be­kämp­fen und die Kom­pe­ten­zen der an­de­ren Be­rufs­grup­pe in Fra­ge stel­len. Ent­spre­chen sol­che Me­di­en­be­rich­te der Rea­li­tät?  

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Die Ge­burts­hil­fe wird oft von den bei­den Be­rufs­grup­pen an­ders be­trach­tet. Die Aus­bil­dung und So­zia­li­sie­rung im Be­ruf ist kom­plett ver­schie­den bei den bei­den Be­rufs­grup­pen. Eine ge­sun­de Aus­ein­an­der­set­zung ist be­fruch­tend. Die Zu­sam­men­ar­beit er­le­be ich als part­ner­schaft­lich. Als Ge­burts­hel­fe­rin und Ge­burts­hel­fer, so­wohl als Heb­am­me wie auch als Ärz­tin, soll­ten wir uns ge­mein­sam auf die Ge­bä­ren­de zen­trie­ren. Wir soll­ten de­ren Wün­sche auf­neh­men und sie bei ei­nem Ri­si­ko kom­pe­tent be­ra­ten kön­nen. Die Freu­de an der Ar­beit, ver­bun­den mit dem nö­ti­gen Re­spekt, um auch die ei­ge­nen Gren­zen zu er­ken­nen, sind es­sen­ti­el­le Ei­gen­schaf­ten als Ge­burts­hel­fer und Ge­burts­hel­fe­rin. 

swiss­mom: Wie stel­len Sie sich eine op­ti­ma­le Ver­sor­gung von Schwan­ge­ren, Ge­bä­ren­den und Wöch­ne­rin­nen in der Schweiz vor?  

Dr. Ga­bri­el­la Sto­cker: Jede Schwan­ge­re soll Zu­gang zu dem Mo­dell ih­rer Wahl in der Schwan­ger­schaft und bei der Ge­burt ha­ben. Es ist si­cher­lich wün­schens­wert, wenn die Be­treu­ung in ei­ner Schwan­ger­schaft, so­wohl von ärzt­li­cher wie auch von Sei­ten der Heb­am­men, so kon­ti­nu­ier­lich wie mög­lich ist. Die Be­treu­ung der jun­gen Fa­mi­lie zu Hau­se durch die am­bu­lan­ten Heb­am­men ist wert­voll. Eine zu­sätz­li­che Un­ter­stüt­zung, wie sie zum Bei­spiel in Hol­land exis­tiert, ist in mei­nen Au­gen zu­sätz­lich wün­schens­wert.  Die Mut­ter, die nicht in ein gu­tes so­zia­les Netz ein­ge­bun­den ist, ist bei uns in der Schweiz auf sich al­lei­ne ge­stellt und kann nicht im­mer auf eine in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Un­ter­stüt­zung zäh­len. In Hol­land kom­men Pfle­ge­rin­nen nach Hau­se, die so­wohl die Mut­ter be­ra­ten, wie auch nach dem Baby schau­en und sich auch noch für die Haus­ar­beit zu­stän­dig füh­len. Das ist ein ei­ge­ner Be­ruf. Die­se Mo­del­le mit län­ger­fris­ti­ger Be­treu­ung ha­ben vie­le Vor­tei­le für die Zu­kunft ei­ner Fa­mi­lie auch im Sin­ne von  Ge­sund­heits­för­de­rung von Mut­ter und Kind. Die Be­glei­tung und Be­treu­ung der jun­gen Fa­mi­lie soll­te nicht zur Pri­vat­an­ge­le­gen­heit er­klärt wer­den, son­dern als Auf­ga­be der Ge­sell­schaft ge­se­hen wer­den.

Foto: la krit­zer-de­sign / Schwei­ze­ri­scher Heb­am­men­ver­band

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Letzte Aktualisierung: 05.11.2019, CH