Wieder nicht geschafft

verzierte Muffins in verschiedenen Farben
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Nur einmal möchte ich so sein wie die anderen. Die Muffins so perfekt wie vom Konditor, keines, bei dem die Glasur heruntertropft, keines, das deformiert ist. Kein verschüttetes Mehl auf dem Küchenfussboden, kein Absturz des Kuchentellers und auch die Kinder machen schön brav mit. Es braucht kein Antreiben, kein Ermahnen, schon gar kein Anschreien, damit sie sich bereit machen. Sie sind alle sauber angezogen, Gesichter gewaschen, alle rechtzeitig bereit, für den grossen Auftritt. Dann pünktlich raus aus dem Haus und ohne Hetze auf in den Kindergarten zur Geburtstagsfeier, auf die sich das Kind seit Wochen schon freut.
 Wäre das nicht einfach himmlisch?

Stattdessen das Gleiche wie immer: Der Älteste kann sich nicht entscheiden, was er zum Znüni mitnehmen will, der Dritte weigert sich, sich anzuziehen, die Haare der Tochter sind verklebt und lassen sich kaum kämmen, die Muffins kleben auf dem Blech, der Jüngste ist krank und brüllt, wenn man ihn aus dem Bett holt und das Geburtstagskind macht sich vor lauter Aufregung in die Hose. Der absolute Albtraum. Knapp zehn Minuten vor Kindergartenbeginn sind endlich alle bereit und es kann losgehen. Die Muffins rutschen gefährlich auf dem Tablett, während man verzweifelt versucht, gleichzeitig den Kinderwagen zu schieben, das Tablett zu balancieren, die Schulkinder zur Eile anzutreiben und die Begeisterung des Geburtstagskindes zu teilen. Nach zehn Minuten, die einem vorkommen wie eine halbe Stunde, komme ich nassgeschwitzt, mit einem Trupp quengelnder Kinder und mit den Nerven am Ende im Kindergarten an. 
Wieder habe ich es nicht geschafft, dem Geburtstagskind einen Moment der ungetrübten Freude zu bieten. Wieder stand der Stress im Weg, das Unvorhersehbare, die eigene Beschränktheit. Wieder war die Realität so anders als im Werbespot.

Wie schaffen das bloss die anderen Mütter? Bei denen sieht das alles immer so stressfrei und perfekt aus. Die bringen den perfekten Kuchen (je nach Alter  und Geschlecht des Kindes ist es eine Lokomotive, ein Zauberschloss oder ein Piratenschiff), an den Kindern klebt nicht die kleinste Spur von Zuckerguss und die Mütter sehen sie aus wie aus dem Ei gepellt. Nun gut, auch ich kreiere Piratenschiffe und Zauberschlösser, aber bei meinen Kunstwerken sieht man die Kampfspuren des Alltags: Die Glasur zu flüssig, weil kein Puderzucker mehr da war und der Laden schon längst geschlossen war, die Servietten zerknittert, weil die Katze mal wieder die Vorratskammer auf den Kopf gestellt hat, die Kuchenplatte rissig, weil die Kinder sie sich für ihr letztes Gartenpicknick geschnappt haben. Einfach nur peinlich, dieser Auftritt.

Finde ich. Die Kindergärtnerin sieht das anders. "Das ist mal wieder perfekt. Wie immer bei dir. Wie schaffst du es bloss, immer alles so makellos hinzukriegen?" ist ihre Reaktion, als sie die Muffins entgegennimmt. Makellos? Sieht sie denn nicht, dass bei mir mal wieder alles schief gelaufen ist, was schief laufen kann? Nein, sie sieht es nicht. Genau so wenig, wie ich es bei den anderen Müttern sehe. Bei jenen, die auf mich wirken, als hätten sie immer alles im Griff, die sich selber aber wohl mit zig Vorwürfen quälen, weil sie dieses oder jenes besser, schöner, perfekter hätten machen wollen und es wieder nicht geschafft haben.

Letzte Aktualisierung: 04.07.2016, TV