Linkshänder können alles – ausser Schönschrift

Aus der Forschung

Schulkind schreibt mit Links
©
GettyImages

Linkshänder gibt es schon im Mutterleib, und es gab sie schon vor über einer Million Jahren. Über ihre Zahl gibt es keine zuverlässigen Angaben. In Statistiken ist von sieben bis zehn Prozent der Bevölkerung die Rede, aber manche Forscher gehen davon aus, dass es ebenso viele Links- wie Rechtshänder gibt. Sie sind von der Natur keineswegs benachteiligt, wohl aber von ihrer Umwelt: Viele Gegenstände des Alltags sind für Rechtshänder konstruiert, und die rechtshändige Gesellschaft hält sich selbst für etwas Besseres.

Völlig zu Unrecht, stellten Wissenschaftler der Berliner Charité fest: Linkshändigkeit ist eine völlig gleichwertige Variante der Norm. Links- und Rechtshänder haben mit wenigen Ausnahmen die gleichen gesundheitlichen Chancen und Risiken und keinen Grund, auf den anderen herabzuschauen. Stefan Gutwinski und sein Team aus Neurologen und Psychiatern der Charité haben im „Deutschen Ärzteblatt“ die bisherigen Erkenntnisse der Wissenschaft zusammengefasst. Sie stiessn dabei auf verblüffende Fakten. So variiert etwa die Zahl der Linkshänder je nach Kultur und Region zwischen fünf und 25,9 Prozent und ist bei Männern höher als bei Frauen. Eine Erklärung dafür fanden sie jedoch nicht. Dass es bereits vor einer Million Jahren Linkshänder gab, beweisen die Handabdrücke und Malereien an urzeitlichen Höhlenwänden.

Die Vorliebe für links kann vererbt werden: Linkshändige Menschen haben häufiger linkshändige Eltern, insbesondere linkshändige Mütter. Eineiige Zwillinge haben zu 81,2 Prozent die gleiche Händigkeit, zweieiige dagegen nur zu 73,3 Prozent. Die Händigkeit adoptierter Kinder entspricht häufiger jener der biologischen als der Adoptiveltern. Kinder, die im Frühjahr und Sommer geboren werden, bevorzugen häufiger ihre linke Hand. Die Ursache liegt möglicherweise am Mangel an Sonnenlicht während der Schwangerschaft und dem dadurch veränderten Vitamin-D-Haushalt der Mutter. Die Vorliebe für eine Hand entsteht nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits im Mutterleib: Die Mehrzahl der Ungeborenen lutscht am rechten Daumen, bewegt häufiger den rechten Arm und hält den Kopf nach rechts gedreht.

Linkshändigkeit kann durchaus von Vorteil sein, betont Gutwinski: Unter bedeutenden Musikern und erfolgreichen Sportlern gibt es viele Linkshänder. Linksausleger gelten besonders unter Tennisspielern, Judoka und Boxern als gefürchtete Gegner. Die Wendeltreppen in mittelalterlichen Festungen waren rechtsdrehend ausgelegt, sodass der in der Regel rechtshändige Verteidiger freie Hand für die Degenführung hatte, während ein rechtshändiger Angreifer im Nachteil war. Nur wenn der Eindringling mit links zu fechten verstand, während er die Stufen hochstürmte, hatte er eine Chance.

Doch meist steckt unsere „rechtsdrehende“ Welt für Linkshänder voller Fallen. Wer jemals versucht hat, einen normalen Dosenöffner mit der linken Hand zu bedienen, mit einem normalen Saucenlöffel „links“ Bratensaft zu schöpfen oder mit der linken Hand einen Korkenzieher zu benutzen, weiss um die Schwierigkeiten linkshändiger Menschen. Sie reichen von den Arbeitsplätzen, wo viele Griffe für Rechtshänder angebracht sind, bis in die Freizeit: Selbst die „einarmigen Banditen“ in Spielkasinos sind rechts zu ziehen. Einige Studien weisen für Linkshänder ein erhöhtes Unfallrisiko auf.

Diese Nachteile dürfen allerdings kein Grund dafür sein, ein linkshändig veranlagtes Kind auf rechts umzugewöhnen, was bis in die 1960er-Jahre beim Schreibunterricht gang und gäbe war. Man weiss nämlich mittlerweile, dass solche Umschulungsversuche von linkshändigen Kindern oft Sprachstörungen und auch Verhaltensstörungen zur Folge haben, weil die beiden Hirnhälften des Kindes, in denen die intellektuellen Leistungen gesteuert werden, bei dieser „Umschaltung“ gleichsam miteinander in Konflikt geraten. Heute wird ausdrücklich vor der Veränderung einer bestehenden Linkshändigkeit gewarnt. Linkshändige Kinder sollten ihre Veranlagung als natürlich und gleichberechtigt erfahren.

Folgen der Umschulung der Händigkeit können sein: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten, Unsicherheiten bei der Orientierung im Raum, feinmotorische Störungen oder Sprachstörungen wie etwa Stottern.“ Um einem eventuellen Drall nach links auf die Spur zu kommen, sollten Eltern darauf achten, mit welcher Hand ihr Kind bestimmte Bewegungen am liebsten ausführt – etwa beim Malen, Blumengiessen oder Zähneputzen.

Linkshändige Kinder sind weder linkisch noch dumm, sondern genauso normal wie rechtshändige Kinder. Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass Linkshänder und Beidhänder häufiger Sprachentwicklungsstörungen aufweisen und auch beim Lesenlernen Schwierigkeiten haben. Sie bedürfen einer sorgfältigen Führung, Geduld und Ermutigung in der Erziehung. Eltern und Lehrer sollten diesen Kindern entgegenkommen und an Schreibgeschwindigkeit, Schönheit und Exaktheit keine übertriebenen Forderungen stellen. Hier hapert es allerdings: Viele Lehrer sind für eine richtige Förderung links schreibender Kinder nicht ausgebildet worden.

Besonders wichtig ist: Das linkshändige Kind muss eine positive Einstellung zu seiner Linkshändigkeit bekommen. Es sollte wissen, dass es weder behindert noch gestört ist. Linkshänder sind sogar deutlich überrepräsentiert im Klub der Intelligenzbestien („Mensa“) und sehr häufig Künstler und Wissenschaftler. Goethes „Faust“, die Relativitätstheorie (Einstein), das Lächeln der Mona Lisa (Leonardo da Vinci), die Sixtinische Kapelle (Michelangelo) und Beethovens Neunte verdankt die Menschheit Linkshändern. Bemerkenswert auch, dass es unter den letzten fünf Präsidenten der USA vier Linkshänder gab beziehungsweise gibt: Ronald Reagan, George Bush senior, Bill Clinton und Barack Obama.

Quellen: www.welt.de

Gutwinski, S. et al.: Dtsch. Arztebl. In.t 2011; 108 (50), S. 849-53

Letzte Aktualisierung: 02.03.2021, BH