Wenn Kleine büffeln und Grosse krabbeln

Vater und Baby krabbeln aufeinander zu
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Neulich besuchte ich einen Informationsanlass, bei dem es um die schulische Zukunft eines unserer Kinder ging. Die Eltern bekamen viele dicht beschriebenen Power-Point-Folien zu sehen, die Referenten warfen mit Worten wie „Leistungsbereitschaft“, „Kontrollprüfung“ und „bilanzierende Einschätzung“ um sich. Ich sass da, hörte zu und versuchte, die grossen Worte in Verbindung zu bringen mit meinem noch ziemlich kleinen Kind, das von diesen Konzepten und Reglementen betroffen sein wird. Dieses verträumte, verspielte, kreative Wesen, das den lieben langen Tag nur seine Kindheit geniessen möchte. Ein Junge, der zwar ganz gerne Neues lernt, aber die Sache mit den Schulnoten und den Hausaufgaben nicht so eng sieht, wie man das von ihm erwartet. Ob er noch sein darf, wer er ist, wenn er versucht, den Anforderungen zu genügen, die in den kommenden Jahren an ihn gestellt werden? Ob er je ins vorgegebene Schema passen wird? Die skeptischen Blicke der anderen Eltern liessen mich ahnen, dass ich nicht die Einzige war, die sich solche Fragen stellte.

Wieder zu Hause brauchte ich etwas leichte Lektüre, um das Gehörte besser verdauen zu können. Nach einigem Stöbern landete ich bei einem Artikel über Fitness. Krabbeln sei das Grösste, wenn man fit bleiben wolle, hiess es da. Erwachsene sollten sich zum Vorbild nehmen, wie Babys und Kleinkinder ihre Muskulatur trainieren. Eine Idee, die durchaus Sinn ergibt, wenn man bedenkt, wie spielerisch leicht Babys ihre motorische Entwicklung mit Strampeln, Rollen und Krabbeln vorantreiben. Beim Gedanken an schwerfällige Erwachsene, die krampfhaft versuchen, die Bewegungen zu imitieren, die für Babys so selbstverständlich sind, konnte ich mir ein Kichern dennoch nicht verkneifen. Ob das gut gehen kann? Immerhin reden wir hier von Menschen, die ihre Turnübungen auf der Krabbeldecke schon längst hinter sich gelassen haben und inzwischen die meiste Zeit des Tages sitzend am Bürotisch verbringen.

Zum Abschluss des Tages nahm ich eine Kochzeitschrift zur Hand. Dort las ich, wer gesund in den Tag starten wolle, koche sich zum Frühstück Reis-Congee. Was da in den höchsten Tönen als bekömmlichste aller Mahlzeiten gepriesen wurde, ist in Tat und Wahrheit nichts anderes, als der ziemlich fade Reisbrei, den man uns in unserer Kindheit servierte, wenn mit dem Magen etwas nicht in Ordnung war. Für Feinschmecker wird das Ganze mit Edamame, Shiitake-Pilzen, Koriander und Safran auf erwachsen und hip getrimmt, aber wenn man all das Zeug weglässt, unterscheidet sich das Gericht nicht von dem, was uns unsere Mütter vorsetzten: Essen, das Trost spendet und für einen aufgeräumten Verdauungstrakt sorgt.

Elternabend, Krabbel-Fitness und Reisbrei stehen vordergründig in keinem Zusammenhang und tauchten nur zufällig in dieser Reihenfolge in meinem Leben auf. Dennoch kam es mir vor, als sei ich an diesem Abend vom einen Extrem zum anderen gelangt. Hier die lebhaften Kinder, die in ein von Erwachsenen erstelltes Raster passen sollen. Da die vom Büroalltag gelangweilten Grossen, die sich von den Kleinen abschauen, wie man sich gesund und fit hält. Ob man sich mit Brei zum Frühstück und Krabbeln nach Feierabend die Kindheit zurückholen kann, die man nicht richtig geniessen konnte, weil man so schnell gross und erfolgreich werden musste?

Letzte Aktualisierung: 07.09.2017, TV