Prävention von sexuellem Missbrauch

Wie können Eltern ihre Kinder besser vor sexuellen Übergriffen schützen?

Kind im violetten Kapuzenpullover hält die Hand vors Gesicht, um "Stop" zu signalisieren
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Gemäss Angaben von Kinderschutz Schweiz erlebt in der Schweiz rund jedes siebte Kind sexualisierte Gewalt durch Erwachsene. Ohne Hilfe können Kinder sich nicht selbst schützen und Prävention ist auch nicht die alleinige Aufgabe von Familien. Schulen, Institutionen wie Kitas und Heime, Vereine und Freizeitorganisationen, die Politik sowie die gesamte Gesellschaft stehen ebenso in der Verantwortung. Dennoch gibt es einiges, was Eltern tun können, um ihre Kinder vor Missbrauch zu schützen.

Was versteht man unter sexuellem Missbrauch?


Als sexuellen Missbrauch oder sexuelle Gewalt an Kindern bezeichnet man jede sexuelle Handlung, die an, mit oder vor Kindern erfolgt. Die erwachsene oder ältere Person nutzt dabei ihre Autoritätsposition aus und befriedigt ihre eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes. Oftmals handelt es sich dabei nicht um sexuelle Bedürfnisse, sondern um den Wunsch, Macht auszuüben. 

Gemäss Schweizer Strafgesetzbuch ist jede dieser Handlungen an Kindern unter 16 Jahren strafbar - auch dann, wenn die minderjährige Person eingewilligt hat. Bei Jugendlichen unter 16 Jahren sind sexuelle Handlungen dann nicht strafbar, wenn der Altersunterschied nicht mehr als drei Jahre beträgt und beide Personen einverstanden sind. 

Bei sexuellen Handlungen an Kindern wird unterschieden zwischen "Hands-On-Taten" mit Körperkontakt und "Hands-Off-Taten" ohne Körperkontakt, also z. B. Anstiftung zur Masturbation oder sexuelle Übergriffe, die online stattfinden. Während sich das Kind und der Täter bei Straftaten im virtuellen Raum oftmals nicht kennen, wird sexualisierte Gewalt im "realen Leben" mehrheitlich von Personen ausgeübt, die dem Kind vertraut sind. Die Täter sind in den allermeisten Fällen männlich und stammen aus allen sozialen Schichten. Auch Minderjährige können Täter sein. 

Welche Faktoren erhöhen das Risiko für sexuellen Missbrauch?


Täter planen ihre Übergriffe und suchen sich ihre Opfer gezielt aus. Bevor es zur Tat kommt, bauen sie über längere Zeit ein Vertrauensverhältnis zum Kind und vielleicht auch zur Familie auf. Bei den Betroffenen handelt es sich oft um Kinder, die besonderen Schutz oder Zuneigung brauchen, zum Beispiel, weil sie sozial isoliert sind, vernachlässigt oder misshandelt wurden oder aus schwierigen familiären Verhältnissen stammen. Besonders hoch ist das Missbrauchsrisiko für Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer körperlichen, kognitiven oder psychischen Behinderung abhängig von Erwachsenen sind. Auch Kinder aus Familien, in denen kein Widerspruch geduldet wird und von denen unbedingter Gehorsam verlangt wird, sind gefährdeter, denn sie haben gelernt, dass Erwachsene immer im Recht sind. 

Ein grosser Risikofaktor ist zudem eine fehlende Sexualerziehung. Ein Kind, das auf seine Fragen rund um die Sexualität keine Antworten bekommt, muss sich sein Wissen selber zusammenreimen. Es kann weniger gut unterscheiden, welches Verhalten angemessen ist und wo seine Grenzen und Gefühle missachtet werden. Hat es gelernt, dass Sexualität ein Tabuthema ist, über das man nicht spricht, kann es sich in seiner Not nicht vertrauensvoll an Erwachsene wenden. Vielleicht fehlen ihm sogar die Worte, um die Körperteile zu benennen, an denen es unangemessen berührt worden ist.

Eine Sexualerziehung, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern das Kind auch in seiner Selbstbestimmung und in der Wahrnehmung seiner Gefühle stärkt, ist deshalb ein wichtiger Schutzfaktor. Diese ist nicht alleine Aufgabe der Eltern. Auch Schulen sollten Präventionsangebote nutzen und in den Unterricht integrieren. 

Wie können Eltern ihre Kinder stärken?


Um Kinder vor Missbrauch zu schützen, reicht es nicht, ihnen beizubringen, dass sie nicht mit Fremden mitgehen sollen. Kinder sollen zwar wissen, wie sie sich verhalten müssen, wenn sie von einer fremden erwachsenen Person angesprochen werden (siehe unten). Da die Gefahr aber eben oft nicht von unbekannten Personen ausgeht, sondern von Menschen im direkten Umfeld, denen das Kind vertraut, ist es in erster Linie wichtig, das Kind zu stärken. Dies geschieht nicht von heute auf morgen, sondern mithilfe einer Erziehungshaltung, die folgende Aspekte ins Zentrum stellt: 

  • Die Entwicklung eines positiven Körpergefühls: Den eigenen Körper zu kennen und zu schätzen, zu wissen, was er kann und was sich gut oder schlecht anfühlt, ist eine wichtige Voraussetzung, um Grenzverletzungen zu erkennen und sich dagegen zu wehren. 

  • Einen respektvollen Umgang mit Grenzen: Signalisiert oder sagt ein Kind, dass es eine Berührung nicht mag, sollen Erwachsene dies respektieren. So lernt es, dass es nicht einfach alles über sich ergehen lassen muss, was andere mit seinem Körper tun. Es ist wichtig, zwischen erwünschten und unerwünschten Berührungen unterscheiden zu können und sich gegen die unerwünschten wehren zu können. Natürlich müssen Kinder auch wissen, in welchen Situationen diese trotzdem unumgänglich und deshalb in Ordnung sind. Zum Beispiel, wenn die Eltern nach dem Waldspaziergang eine Zecke aus der Haut entfernen müssen oder bei einer ärztlichen Untersuchung. 

  • Vertrauen in die eigenen Gefühle: Gefühle zu erkennen, sie ernst zu nehmen und auszudrücken ist eine wichtige Fähigkeit. Das Kind muss wissen, dass es seinen Empfindungen trauen kann, wenn sich etwas unangenehm oder einfach nicht richtig anfühlt. Dies ist wichtig, weil Täter ihrem Opfer oftmals einzureden versuchen, es finde die sexuellen Handlungen doch auch schön. 

  • Das Recht, Nein zu sagen: Kinder, die gelernt haben, Erwachsenen blind zu gehorchen, sind gefährdeter, missbraucht zu werden. Zu wissen, dass man auch Eltern, anderen Erwachsenen und älteren Kindern freundlich, aber bestimmt widersprechen darf, ist deshalb wichtig. Für Eltern bedeutet dies, nicht einfach über das Kind zu verfügen, sondern dort, wo dies möglich ist, seine Meinung anzuhören und es mitbestimmen zu lassen. Weil es aber auch Menschen gibt, die sich über ein Nein hinwegsetzen, müssen Kinder wissen: In solchen Fällen ist es immer richtig, Hilfe zu holen. 

  • Die Unterscheidung von guten und schlechten Geheimnissen: Kinder lieben Geheimnisse. Sie zu verraten wäre ein absolutes No-Go. Diesen Umstand machen sich Täter zunutze, indem sie dem Opfer einreden, das gemeinsam Erlebte sei ihr Geheimnis, von dem niemand etwas erfahren dürfe. Eltern sollten deshalb ihren Kindern vermitteln, dass sie Geheimnisse, die sich schlecht anfühlen, keinesfalls für sich behalten sollten. 

  • Hilfe zu holen ist weder Petzen noch ein Zeichen von Schwäche: Sich Hilfe zu holen kann bei sexuellem Missbrauch noch schwerer fallen als in anderen Situationen. Kinder sollten deshalb immer wieder vermittelt bekommen: Wenn du dich mit irgendetwas überfordert fühlst, wende dich an eine Person, der du vertraust. Falls man dir nicht glaubt oder dich nicht ernst nimmt, bleibe hartnäckig, bis du Hilfe bekommst. Und weil man sich manche Dinge zuerst einmal anonym von der Seele reden möchte, sollten Kinder und Jugendliche auch Hilfsangebote wie 147.ch kennen. 

Wie handeln bei Verdacht auf Missbrauch?


Leider gibt es keine eindeutigen Anzeichen oder Symptome, die auf einen Missbrauch hindeuten. Eltern sollten jedoch immer hellhörig werden, wenn sich das Verhalten eines Kindes plötzlich ändert. Wenn es zum Beispiel auf einmal sehr aggressiv oder ängstlich ist, sich zurückzieht, sich nicht mehr konzentrieren kann oder ein sexualisiertes Verhalten zeigt. Vielleicht klagt das Kind auch vermehrt über Kopf- oder Bauchschmerzen oder leidet unter Schlafstörungen. Alle diese Anzeichen können jedoch auch andere Ursachen haben. 

Falls Sie den Verdacht haben, Ihr Kind könnte missbraucht worden sein, ist es sinnvoll, sich von einer Opferberatungsstelle beraten und bei der Einschätzung der Situation helfen zu lassen. Ist es tatsächlich zum Missbrauch gekommen und Ihr Kind nimmt allen Mut zusammen, um sich Ihnen anzuvertrauen, ist es wichtig, ihm zu glauben. Hören Sie ihm aufmerksam zu und lassen Sie es das erzählen, was es erzählen kann. Bohren Sie jedoch nicht mit Fragen nach, sondern wenden Sie sich ebenfalls an eine Opferberatungsstelle. Dort können Sie das weitere Vorgehen und allfällige rechtliche Schritte besprechen. 

Für Kinder und Jugendliche, die einen Missbrauch erlebt haben, ist wichtig zu wissen: Das Geschehene ist nicht ihre Schuld. Die Verantwortung liegt immer beim Täter.

Wie können Kinder reagieren, wenn sie von Fremden angesprochen werden?


Obschon es sich bei Tätern meistens um vertraute Personen handelt, müssen Kinder wissen, wie sie reagieren können, wenn sie von Unbekannten angesprochen werden. Schüren Sie dabei keine Ängste, sondern bringen Sie Ihrem Kind Verhaltensregeln bei, die es verinnerlichen sollte:

  • Niemals mit unbekannten Personen mitgehen, auch dann nicht, wenn diese sagen, die Eltern hätten sie geschickt, um es abzuholen. Zur Sicherheit können Sie mit Ihrem Kind ein Passwort vereinbaren, das nur Personen kennen, die es abholen dürfen.

  • Auch dann nicht mitgehen, wenn Bekannte es mitnehmen wollen, ohne dass dies mit den Eltern und dem Kind so vereinbart worden ist. Ihr Kind muss immer Bescheid wissen, wenn es von jemand anderem abgeholt werden soll

  • Bittet eine fremde erwachsene Person das Kind um Hilfe oder fragt es nach dem Weg, darf es "unhöflich" sein und die Bitte ignorieren oder Nein sagen. Erwachsene sollen andere Erwachsene um Hilfe bitten und nicht Kinder.

  • Niemals Geschenke von Fremden annehmen und auch nicht mitgehen, wenn diese dem Kind "etwas Tolles" zeigen wollen. 

  • Fremden niemals den eigenen Namen oder die Adresse nennen und auch nicht zeigen, wo es wohnt

  • Immer zusammen mit anderen Kindern in den Kindergarten oder zur Schule gehen, denn in Gruppen ist man sicherer unterwegs als alleine. 

  • Wenn es sich bedroht fühlt, soll das Kind auf sich aufmerksam machen, z. B., indem es laut schreit, wegläuft oder andere Menschen um Hilfe bittet. Besprechen Sie mit Ihrem Kind, dass es an belebten Orten sicherer ist. Überlegen Sie gemeinsam, wo es in einer Notsituation Schutz suchen kann, z. B. in einem Geschäft, das am Schulweg liegt, an einer Strassenecke, wo sich die Eltern jeweils zum Schwatzen treffen, nachdem sie die Kinder zum Kindergarten gebracht haben oder bei einer bekannten Familie, bei der es jederzeit klingeln darf. 

  • Wenn es etwas beobachtet oder erlebt hat, das ihm Angst macht, soll das Kind unbedingt die Eltern, Lehrpersonen oder das Betreuungspersonal in der Kita informieren. 

Wie kann man Kinder vor Cybergrooming schützen?


Von Cybergrooming spricht man, wenn eine erwachsene Person online Kontakt zu einem Kind oder Jugendlichen aufnimmt und ein Vertrauensverhältnis aufbaut, um dann sexuelle Gefälligkeiten wie z. B. Nacktbilder oder Videoaufnahmen zu erzwingen. Dies kann in Online-Games passieren, in den Sozialen Medien oder in Chatforen.

Für einen besseren Schutz sollten Sie selber möglichst keine persönlichen Daten Ihres Kindes wie Name, Alter, Geschlecht, Wohnort oder Schule online preisgeben. Bilder Ihres Kindes sollten nur Bekannte sehen können. Teilen Sie auch von sich selbst möglichst wenig Privates, um Ihrem Kind einen sorgsamen Umgang mit persönlichen Informationen vorzuleben.

Ihr Kind muss wissen, dass nicht alle Personen, die online mit ihm in Kontakt treten, gute Absichten verfolgen. Deshalb sollte es die folgenden Regeln kennen: Keine persönlichen Informationen wie Name, Alter, Geschlecht oder Wohnort an Unbekannte weitergeben, keine Bilder veröffentlichen, die Aufschluss über Privates oder gar Intimes geben und niemals Treffen vereinbaren mit Personen, die es online "kennengelernt" hat. Erklären Sie Ihrem Kind zudem, dass manche Erwachsenen Fake-Profile anlegen, um vorzugeben, sie seien selber noch Kinder oder Jugendliche. Diese versuchen, das Vertrauen von Minderjährigen zu gewinnen, indem sie sich über angebliche gemeinsame Interessen austauschen, an Sorgen und Problemen Anteil nehmen und sich besonders verständnisvoll geben. 

Wie Sie vorgehen sollten, falls Ihr Kind Opfer von Cybergrooming geworden ist, erfahren Sie auf der Webseite von Kinderschutz Schweiz

Was tun, wenn das Kind mit pornografischen Inhalten konfrontiert worden ist?


Durch die stetige Verfügbarkeit von Smartphones werden Kinder oft schon sehr früh mit pornografischen Inhalten konfrontiert, die sie überfordern. Um sie vor negativen Auswirkungen zu schützen, ist zum einen wieder die Sexualerziehung wichtig. Das Wissen über Sexualität hilft den Kindern, das Gesehene besser einzuordnen. Zum anderen sollten Sie Ihr Kind auch in der digitalen Welt nicht einfach sich selbst überlassen. Sprechen Sie mit ihm über Inhalte, die es sich ansieht, hören Sie ihm zu, wenn es Ihnen erzählt, was es online erlebt hat und ermutigen Sie es immer wieder, auch offen über Unangenehmes zu reden, das ihm begegnet. Genau wie in der "realen Welt" muss Ihr Kind zudem wissen, dass es sich nicht schämen oder schuldig fühlen muss, wenn es online z. B. sexuell belästigt worden ist. 

Falls Ihr Kind mit kinderpornografischen Inhalten konfrontiert worden ist, können Sie diesen Vorfall bei clickandstop.ch melden. Die Meldestelle bietet zudem kostenlose und anonyme Beratung für betroffene Kinder und Jugendliche, aber auch für Eltern, Lehrpersonen und Fachleute.

Falls Sie Anzeige bei der Polizei erstatten möchten, lasse Sie sich bezüglich des Vorgehens bei einer Opferhilfestelle beraten. Zur Sicherung der Beweismittel ist es wichtig, dass Sie illegale Pornografie wie Bilder und Videos nicht auf dem Gerät speichern. Bringen Sie stattdessen das Gerät mit den illegalen Inhalten zur Polizei.

Damit sie sich selber nicht strafbar machen, sollten ältere Kinder auch wissen, welches Material sie teilen dürfen und welches nicht. Ausführliche Informationen dazu finden Sie hier

Letzte Aktualisierung: 17.11.2025, swissmom-Redaktion