"Ausser Atem kommen ist wichtig, Schwitzen nicht unbedingt"

Interview mit Katharina Quack Lötscher

Schwangere macht Übungen auf der Wiese
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swissmom: Warum gibt es neu Bewegungsempfehlungen für werdende Mütter?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Bisher lagen keine einheitlichen Empfehlungen für die Bewegung in der Schwangerschaft und nach der Geburt im deutschsprachigen Raum vor. Diese Lücke wurde nun von «Gesundheitsförderung Schweiz» geschlossen. Wie für die übrige Bevölkerung gilt auch für Schwangere: gesund sind 2.5 Stunden Bewegung in mittlerer Intensität pro Woche. 

swissmom: Welche Art von Bewegung wird während der Schwangerschaft empfohlen?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Die Palette reicht von Velo fahren, über zügiges Gehen bis zu Tanzen, Schwimmen oder Wassergymnastik. Frauen, die bereits vor der Schwangerschaft aktiv waren, können ihren sportlichen Aktivitäten weiter nachgehen, solange sie sich dabei wohl fühlen. Manchmal sind Anpassungen in der Art, Technik, Dauer und Intensität nötig. Wichtig ist, dass man bei der körperlichen Betätigung etwas ausser Atem kommt. Schwitzen ist nicht unbedingt notwendig.

Zur Person

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Dr. med. Katharina Quack Lötscher ist Fachärztin für Public Health. Sie forscht am UniversitätsSpital Zürich über die Auswirkungen von Ernährung und Bewegung während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen hat sie Fitnesskurse und Ernährungsberatungen speziell für Schwangere und Mütter entwickelt, welche in der Deutschschweiz angeboten werden: www.buggyfit.ch 

swissmom: Wenn man bisher eher wenig bis kein Sport gemacht hat, kann man noch in der Schwangerschaft damit beginnen?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Jeder Schritt hin zu mehr Bewegung ist wichtig. D.h. auch bisher eher inaktive Frauen können und sollen sich ab Schwangerschaftsbeginn regelmässig 2.5 Stunden pro Woche bewegen. Einschränkungen gibt es bei Frauen mit vorbestehenden gesundheitlichen Problemen wie schlecht eingestelltem Blutdruck, Herz-Kreislauf-Störungen und ähnlichem. 

swissmom: Welche Risiken gibt es, wenn man sich in der Schwangerschaft sportlich betätigt?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Grundsätzlich gibt es weder für die Mutter noch das Kind Risiken bei sportlicher Betätigung. Bei Schwangerschaftskomplikationen wie Blutungen, vorzeitigem Blasensprung, vorzeitigen Wehen oder ähnlichem sollte jedoch mit der betreuenden Ärztin/Arzt oder der Hebamme Rücksprache genommen werden.

swissmom: Gibt es Sportarten, die man eher meiden sollte?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Ja! Sportarten mit hohem Sturzrisiko (z.B. Reiten, Skifahren) und bei denen Kollisionen möglich sind, wie z.B. Kampf- oder einige Mannschaftssportarten, sollten besser gemieden werden. Auch wird von Flaschentauchen abgeraten. Körperliche Aktivität bis 2000 m über Meer, also z.B. Wandern in den Bergen, ist unbedenklich. 

swissmom: Wie sieht es mit Krafttraining und Stretching aus?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Leichtes Krafttraining trägt zum Wohlbefinden bei und wird während der Schwangerschaft mindestens 2x wöchentlich empfohlen. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass ab Mitte der Schwangerschaft Übungen in Rückenlage vermieden werden. Stretching kann helfen Muskelverspannungen zu lösen. Da das Bindegewebe in der Schwangerschaft aber generell lockerer ist, sollten die Übungen langsam und wohl dosiert durchgeführt werden.

swissmom: Wie viel Sport darf man nach der Geburt machen?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Genügend Bewegung ist auch nach der Geburt wichtig. Der Bewegungsumfang kann langsam gesteigert werden, bis die empfohlenen 2.5 Stunden pro Woche mit mittlerer Intensität erreicht sind.  

swissmom: Warum sollte der Beckenboden trainiert werden?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: Der Beckenboden war über neun Monate stark belastet und hat dadurch seine Spannung verloren. Ohne zielgerichtetes Beckenbodentraining kann diese Spannung nicht wieder aufgebaut werden. Im höheren Alter können Blasen- und Senkungsbeschwerden die Folge sein. Deshalb wird allen Frauen, egal auf welchem Weg das Kind geboren wurde, eine Rückbildungsgymnastik mit Aktivierung des Beckenbodens empfohlen.

swissmom: Kann man mit allen Sportarten nach der Geburt wieder starten?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: In den ersten Wochen nach der Geburt sollte auf Sportarten verzichtet werden, die den Beckenboden stark belasten. Dazu gehören Aktivitäten mit hohem Impact wie Rennen und Hüpfen. Erst muss eine gute Aktivierung des Beckenbodens stattgefunden haben, bevor wieder trainiert werden kann. Ähnliches gilt für die Bauchwand. Wenn zu früh mit Bauchmuskeltraining gestartet wird, kann eine so genannte «Rektusdiastase» zurückbleiben, was einer Muskellücke am Bauch entspricht. Für Bauchmuskeltraining sollte auf jeden Fall die ärztliche Kontrolle 6-8 Wochen nach Geburt abgewartet werden.

swissmom: Hat Bewegung einen Einfluss auf das Stillen?

Dr. med. Katharina Quack Lötscher: In dem empfohlenen Umfang hat Bewegung kein Einfluss auf das Stillen. Mütter sollten auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Nahrungseinnahme achten. Ein stützender BH kann das Wohlbefinden beim Bewegen erhöhen. Empfohlen wird auch, vor dem Sport zu stillen oder abzupumpen.  

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Mitte September 2018 hat «Gesundheitsförderung Schweiz» erstmals nationale Empfehlungen zur Bewegung in der Schwangerschaft und nach der Geburt herausgegeben. Diese lehnen sich an die Bewegungsempfehlungen für die gesamte Bevölkerung an. Dr. med. Katharina Quack Lötscher war bei der Ausarbeitung als Expertin dabei.

Letzte Aktualisierung: 16.10.2019, TV