Lieber ein bisschen als gar nicht

Schwangerschaftskolumne Woche 36 Lieber ein bisschen als gar nicht
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mama.kritzelei

Kugelbauch-Kolumne Woche 6


„Nö. Bin nicht schwanger“, sage ich zu ihm. 

So nüchtern, dass es nur gekünstelt sein kann. 

Natürlich hätte ich mich über den zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest gefreut. 

Ich, die ich seit ich denken kann, Kinderwunsch in mir wachsen lasse.

Die sich stets so liebevoll um ihren Puppen gekümmert hat. Und auch gerne um diejenigen der Nachbarsmädchen.

Ich, die ich an jedem Weihnachtsfest mit neuer Hingabe die Rolle der Maria spielte. 

Die schwangere Frauen das Wunderschönste dieser Welt findet. 

Ich, die ich das „Muttersein“ auch als kinderlose Frau zelebriere und deshalb Hebamme gelernt habe. 

Ich, deren Urinstrahl vor exakt zehn Minuten den kleinen Filzstöpsel des Schwangerschaftstestes gejagt hat. 

Ich bin nicht schwanger.

Nicht so tragisch. Dann eben nächsten Monat. Klappt schon. Positiv denken.

Mich selbst zu einem milden Lächeln zwingend, lege ich den Test wieder auf den Klodeckel und flixe weiter net. 

„Doch, da ist doch ein zweiter Strich zu sehen!“, meint er, als er wenige Minuten später neben mir steht. In der Hand dieses plumpe Stück Plastik. In den Augen ein grosses Fragezeichen und eine XL-Portion Unsicherheit.

Tatsächlich. 

Ein dicker und gleich dahinter ein ganz dünner Strich.

Aber halt! Das Resultat des Tests, so steht es deutlich im Beipackzettel, ist nur nach zehn und nicht nach fünfzehn Minuten aussagekräftig. 

Tja, nun stehen wir da und gucken etwas blöd aus unserer Wäsche, auf dieses kleine Fenster auf dem Test. Dieses Fenster, welches verspricht, die Zukunft aus dem Urin lesen zu können. Und dieses Fenster meint nun - mit etwas Verspätung - zu wissen, dass wir wohl bald Eltern werden. 

Das Fenster zur Zukunft meint also, dass ich vielleicht doch schwanger bin. Zumindest wohl „es bitzeli“ schwanger.

So genau wissen wir das ja nun nicht. 

Oder doch?

Dem Schwangerschaftstest in meinem Herzen, der sich wohl auch Bauchgefühl nennt, ist dieser dünne, verspätete zweite Strich offenbar genug. Die letzten Tage ahnte ich es bereits und in diesem Moment weiss ich es auch. Dieser feine Strich im Fenster zur Zukunft, dieses kleine „Bitzeli“ schwanger sein, ist für den Moment völlig ausreichend.

Es ist für diesen Moment sogar einfach perfekt. Denn für die kommenden Tage ist diese leise Ahnung, dass da Leben in mir wächst, einfach nur ein schönes Geheimnis zwischen ihm und mir.

Etwas, das nur wir beide wissen. 

Etwas, das uns ein heimliches Grinsen ins Gesicht zaubert, wenn wir einander ansehen.

Etwas, das noch kein anderer Mensch auf dieser Welt zu wissen braucht. 

Etwas, das nicht mit zwei fetten Balken auf einem Test belegt werden muss, sondern nur ein aufregender Gedanke sein darf. 

Und mit diesem prickelnden Gefühl im Bauch, mit unserem Geheimnis im Herzen, verharre ich ganz gerne noch ein paar Tage.

Okay, vielleicht nur bis morgen. Bis ich einen zweiten Test besorge und es natürlich sofort meiner liebsten Freundin stecke. Aber bis dahin, du lieber, dünner, offenbar etwas verträumter zweiter Strich, bis dahin bist du absolut gut genug. 

Die Kolumnistin

Schwangerschaftskolumne_Portrait_Giulietta

Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.

Letzte Aktualisierung: 29.01.2020, GM