Den Alltag meistern - Praktische Tipps für Eltern mit ADHS

Frau baut Turm aus bunten Stiften
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ADHS Organisation Schweiz

Nicht nur Kinder können ADHS haben, auch Erwachsenen können davon betroffen sein. Für Eltern mit ADHS stellen sich im Familienalltag besondere Herausforderungen. Die folgenden Tipps sollen dabei helfen, diese Herausforderungen anzunehmen und zu meistern. 

1. Ein Netz, das trägt

Menschen, die einspringen können, wenn die Situation aus dem Ruder zu laufen droht, sind für ADHS-Betroffene besonders wichtig. Dies können zum Beispiel Grosseltern sein, die sich regelmässig um die Kinder kümmern, damit den Eltern nicht alles zu viel wird. Oder eine nahestehende Person, die sich bereit erklärt, bei Aufgaben zu helfen, die zu erledigen sind. „ADHS-Betroffene kommen sehr schnell ins Handeln, wenn eine zweite Person dabei ist“, erklärt Isolde Schaffter-Wieland, die auf der Fach- und Beratungsstelle adhs20+ in Schönenwerd Eltern und Erwachsene mit ADHS berät und begleitet. Um die Dinge in Gang zu bringen reiche es oft schon, wenn diese Person zum Beispiel die Tür eines Schranks öffne, der dringend aufgeräumt werden müsse. 

2. Hilfe holen

Diese Hilfe kann ganz unterschiedlich aussehen. Beispielsweise eine Haushalthilfe, die alle zwei Wochen die Wohnung putzt. Schon die Aussicht darauf, dass jemand kommt, um sauber zu machen, kann bewirken, damit die betroffene Person sich auf diesen Zeitpunkt hin ordnet. Bei grosser Erschöpfung hilft es, wenn der Arzt eine Unterstützung durch die Spitex verschreibt. Menschen mit ausgeprägter ADHS-Symptomatik erleben die Begleitung durch eine psychiatrische Spitex als hilfreich. Auch ein Coaching kann viel dazu beitragen, dass der Alltag mit ADHS leichter zu meistern ist. In diesem Rahmen lässt sich besprechen, wo ein Richtungswechsel angezeigt ist, wie es besser gelingt, alltägliche Aufgaben zu erledigen und wo die Beiziehung externer Hilfe sinnvoll ist.

3. Die Woche planen

Ein gemeinsam mit dem Partner erarbeiteter, schriftlich festgehaltener Plan gibt dem Alltag Struktur. Hier legt man zum Beispiel fest, was im Laufe der Woche zu erledigen ist und wer an welchem Abend die Kinder ins Bett bringt. Wichtig ist, dass in diesem Plan auch persönliche Auszeiten und Zeit für die Partnerschaft fest eingetragen werden.

Beachten Sie!

Interview

Isolde Schaffter-Wieland zum Thema "ADHS und Familie"

4. Freiräume schaffen und fest einplanen

Für Mütter und Väter mit ADHS ist es besonders wichtig, dass sie Freiräume haben, zum Beispiel, um Sport zu treiben. Bewegung hilft beim Abbau von Spannungen und der Steigerung von Aufmerksamkeit und Ausdauer. Auch Raum für kreative Tätigkeiten ist wichtig, denn oft sind Menschen mit ADHS musisch veranlagt. Damit diese „Inseln“ im Alltagstrubel nicht untergehen, gehören sie unbedingt in den Wochenplan.

5. Pufferzonen einbauen

Isolde Schaffter-Wieland erlebt in der Beratungspraxis oft, dass insbesondere Männer sich überfordert fühlen durch den Wechsel vom Arbeitsplatz nach Hause in den Trubel des Familienlebens. In diesem Fall ist es hilfreich, eine Pufferzone einzubauen, also eine Zeit, um sich mental auf das vorzubereiten, was einen zu Hause erwartet. Dies kann auf der Heimfahrt im Zug oder im Auto geschehen, vielleicht ist aber auch noch ein Spaziergang nötig, bevor der Vater bereit ist, sich in der Familie richtig einzubringen. Wichtig ist, dass solche „Ankommensrituale“ mit der Partnerin abgesprochen werden.

6. Miteinander reden und Vereinbarungen treffen

Miteinander zu reden und einander mitzuteilen, wie man sich fühlt, ist in jeder Partnerschaft wichtig. Stimmungsschwankungen, Impulsivität und emotionale Überreaktionen, die häufig mit einer ADHS einhergehen, sorgen aber für viel Konfliktpotential, was leider oft auch zum Scheitern der Beziehung führen kann. Austausch und klare Absprachen sind also in einer Partnerschaft, in dem einer oder beide von ADHS betroffen sind, erst recht von Bedeutung. Ein Beziehungs-Coaching kann helfen, die Themen anzugehen, die immer wieder zu Spannungen und Konflikten führen.

7. Zeit für die Partnerschaft

Die Zeit zu zweit kommt in den meisten Familien mit kleinen Kindern zu kurz. Damit die Zweisamkeit im Trubel des Alltags nicht untergeht, rät Isolde Schaffter-Wieland, den Paarabend fix im Wochenplan einzutragen. 

8. Administrative und finanzielle Angelegenheiten nicht aus dem Ruder laufen lassen

Menschen mit ADHS haben oft Mühe, ihre administrativen Angelegenheiten zu erledigen. Dies kann zu finanziellen Problemen führen, wenn zum Beispiel die Post ungeöffnet bleibt, Rechnungen nicht rechtzeitig beglichen werden oder die Steuererklärung nicht eingereicht wird. Auch in diesem Bereich kann es deshalb sinnvoll sein, Unterstützung beizuziehen. 

9. Gut zu sich selber schauen

Um die Herausforderungen, die ADHS mit sich bringt, gut meistern zu können, ist es wichtig, dass sowohl direkt betroffene Personen, als auch nicht betroffene Partner gut zu sich selber schauen. Neben den oben erwähnten Freiräumen und Pufferzeiten sind regelmässige und ausgewogene Ernährung, genügend Schlaf sowie das Pflegen von Kontakten wichtig. 

10. Mit ADHS leben lernen

Die Diagnose ADHS bedeutet für viele Betroffene Erleichterung und Verunsicherung zugleich. Erleichterung, weil -  nicht selten nach einem langen Leidensweg - endlich der Grund für das „Anderssein“ gefunden ist. Verunsicherung, weil das Thema in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird und es nicht einfach ist, im Gewirr dieser Stimmen den eigenen Weg zu finden. Eine sogenannte „multimodale Therapie“, bestehend aus Aufklärung und Information (Psychoedukation), einer eventuellen Medikation, Verhaltenstraining und Coaching sowie ergänzende Massnahmen wie z. B. Achtsamkeitstraining oder Neurofeedback, hilft den Betroffenen, den Leidensdruck zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern. Schliesslich gilt es, einen Weg zu finden, die Diagnose nicht nur als Herausforderung anzunehmen, sondern auch als Chance, denn oft sind Menschen mit ADHS besonders kreativ, begeisterungsfähig, warmherzig und ideenreich. Gelingt es, Freiräume zu schaffen, in denen die betroffene Person sich entfalten kann, bringt ADHS viel Farbe ins Leben.

Letzte Aktualisierung: 18.03.2020, TV