Mutterliebe – alles nur Hormone?

Mutter küsst Baby auf die Stirn
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Die Mutter ist für ein Kind die erste und zunächst wichtigste Bezugsperson – sie gibt ihm Zuwendung, Schutz, intellektuelle Anregungen und vor allem Nahrung und sichert sein Überleben, aber auch seine geistige Entwicklung. Damit sich eine Mutter selbstlos um ihren Nachwuchs kümmert, hat die Natur die Mutterliebe erfunden.

Mutterliebe sorgt dafür, dass Frauen sich sogar unter schwierigsten Bedingungen wie Schlafentzug und Stress um ihr Kind kümmern, es beschützen und aufziehen. Mütter sind durch dieses Gefühl im Stande, über sich selbst hinauszuwachsen und Dinge zu tun, die sie normalerweise für andere Menschen nicht tun würden (Löwenmutter). Dem Kind gibt die sichere Mutter-Kind-Bindung eine Basis für das gesamte Gefühlsleben, die Bindungs- und Liebesfähigkeit. Das macht es stark für sein ganzes Leben.

Den Anstoss für die Entstehung der Mutterliebe gibt ein Hormoncocktail, der ziemlich berauschend wirkt  – und zwar schon während der Schwangerschaft. Während der Geburt schüttet der Körper der Mutter dann einerseits Endorphine aus, die ähnlich wie Morphin schmerzlindernd wirken und eine Art Rausch auslösen, weshalb die Wehenschmerzen oft sofort nach der Geburt vergessen sind. Andererseits werden bei der Geburt und beim Stillen verstärkt „Liebeshormone“ wie das Wehenhormon Oxytocin und das Milchbildungshormon Prolaktin produziert. Sie fördern den Wunsch, sich einem geliebten Mensch gegenüber selbstlos zu verhalten, und vermitteln Glück und Geborgenheit, wenn wir mit ihm zusammen sind.

Ein weiterer Trick der Natur wird vom Kind selbst angesetzt. Babys verfügen von Anfang an über angeborene, instinktive Fähigkeiten, die das Fürsorgeverhalten ihrer Betreuungspersonen verstärken: Ihr herziges Aussehen (Kindchenschema), ihr Lächeln – aber auch ihr Schreien.

Diese Fürsorge wird bei der Mutter (und auch bei anderen engen Bezugspersonen) wiederum mit Glücksgefühlen belohnt, was die Mutterliebe noch mehr verstärkt. Wissenschaftlich ausgedrückt: Die Gehirnregionen, die sich bei Süchtigen im Drogenrausch verändern, werden auch aktiv, wenn eine Mutter ihr Kind sieht. Der Dopaminausstoss macht zufrieden, Oxytocin reduziert Angstreaktionen und fördert liebevolles Vertrauen - eine berauschende Kombination.

Mutterliebe ist aber nicht nur ein Resultat unserer Hormone und Instinkte. Der Aufbau einer sicheren Eltern-Kind-Bindung muss zum Teil auch „gelernt“ werden. Es ist deshalb durchaus möglich, adoptierten Kindern gegenüber genauso liebevoll zu sein wie den leiblichen. Und auch Väter können normalerweise ganz ohne Hormoncocktail eine enge Beziehung zum Kind aufbauen – was ihren Oxytocinspiegel wiederum steigen lässt und ihre Gefühle weiter verstärkt.

Was passiert, wenn die Mutterliebe nicht so stark ist? Eine vorübergehende Phase von Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit, die meist drei bis sechs Tage nach der Entbindung einsetzt („Heultage“ oder „Baby-Blues“), erfahren etwa drei Viertel aller Wöchnerinnen.  Das Stimmungstief verschwindet innerhalb von Stunden oder Tagen wieder, ohne dass eine Behandlung nötig ist. Es handelt sich in der Regel um einen natürlichen emotionalen Anpassungsprozess, verstärkt durch enorme hormonelle Umstellungen nach der Geburt.

Aber auch nach dem Wochenbett ist die Mutterliebe nicht für alle Frauen selbstverständlich. In wissenschaftlichen Studien hat man herausgefunden, dass bei einigen Frauen Reaktionen in bestimmten Hirnarealen beim Anblick ihres eigenen Kindes im Vergleich mit anderen Müttern schwächer ausfallen. Solche Mütter können die Signale ihres Kindes nicht ausreichend deuten und finden es dann schwierig, mit stressigen Situationen umzugehen, ziehen sich vielleicht auch vom Kind zurück. Verringerte mütterliche Sensibilität kann viele verschiedene Ursachen haben. Sicher ist: Wer selbst ohne oder mit nur wenig Mutterliebe aufgewachsen ist, wird nicht so leicht eine enge Bindung zu den eigenen Kindern aufbauen können.

Zu guter Letzt: Mutterliebe ist nicht immer gleich. Auch die Gefühle für das eigene Kind sind ständigen, täglichen, ja stündlichen Schwankungen unterworfen. Zudem verändert die Mutterliebe sich, wenn das Kind älter wird. Wir können einen Dreijährigen nicht auf dieselbe Weise lieben wie einen Säugling oder einen pubertierenden Teenager. Je älter das Kind wird, umso mehr muss es sich von den Eltern ablösen können. Und diese müssen immer mehr bereit sein, Distanz zuzulassen.

Der englische Psychoanalytiker und Kinderarzt Donald Winnicott hat das Konzept der „ausreichend guten Mutter“ entwickelt: Eine Mutter ist dann ideal, wenn sie ausreichend Aufmerksamkeit und Versorgung bietet, aber nicht mehr. Nur so kann ein Kind die Erfahrung der eigenen Stärke machen und lernen, mit Frustrationen auch alleine zurechtzukommen. Mutterliebe ist vielleicht „Löwenliebe“ – aber sicher nicht „Affenliebe“!

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Letzte Aktualisierung: 20.07.2020, BH