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                              Die Diskussion um das „Wunschkind“

                              Interview mit Prof. Dr. med. Michael von Wolff

                              Befruchtung einer Eizelle im Behälter im Labor

                              swissmom: Prof. von Wolff, die Abstimmung zur PID im letzten Juni hat grosse Debatten ausgelöst. Wie sehen Sie als Reproduktionsmediziner die öffentliche Diskussion?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: Im Grunde ging und geht es darum, das sehr konservative Schweizer Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) und auch des Chromosomenscreenings aufzuheben. Ein zweites Anliegen ist, die ungute Zunahme der Mehrlingsschwangerschaften zu begrenzen, weil diese für Mütter und Kinder Probleme bringen können. Begleitet wurde die Abstimmung damals von sehr viel politischem Wind: Es gab ein zähes Ringen der Parteien, der Verbände und der Interessengruppen. Obwohl sehr unterschiedlich – und auch nicht immer sachlich – an das Thema herangegangen wurde, hatten die Diskussionsteilnehmer eines gemein: Ein beeindruckendes Interesse an einer Technik und Medizin, die an die Grundwurzeln unseres Seins rütteln könnte. Doch noch etwas fiel auf: Die Stimmen derjenigen wenigen, die diese Technik wirklich betrifft, waren kaum zu hören.

                              swissmom: Was meinen Sie damit?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: Nur eine sehr überschaubare Anzahl an Paaren würde von einer PID überhaupt profitieren. Gemäss einer eigenen Hochrechnung der Europäischen Registerdaten würden in Folge der PID und des Chromosomenscreenings in der Schweiz pro Jahr max. 20-30 Kinder geboren werden. Gibt es diese Möglichkeit nicht, müssen diese Paare den mühsamen Weg ins Ausland antreten oder gar abtreiben aus Angst, ihr Kind könnte von einer schweren Krankheit betroffen sein.

                              Zur Person

                              Foto von Wolff weisser Kittel 02

                              Nach der erfolgreichen Annahme des Verfassungsartikels, der eine Präimplantationsdiagnostik (PID) neu in der Schweiz erlauben soll, ist die konkrete Umsetzung durch Kinderwunschzentren fast ein Jahr später weiterhin in der Diskussion. Weil gegen das neu geplante Fortpflanzungsmedizingesetz ein Referendum eingereicht wurde, kommt am 5. Juni die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin erneut vors Volk. Prof. Dr. med. Michael von Wolff, Leiter des Kinderwunschzentrums am Inselspital Bern, erklärt, worum es geht und worum gerade nicht.

                              swissmom: Und solche Krankheiten kann eine PID voraussehen?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: Ja. Eine PID erlaubt es uns als behandelnden Ärzten, bereits sehr früh gezielt nach einer vererbbaren Krankheit zu suchen. Daher auch der Name „Diagnostik“. Das ist dort wichtig, wo einer oder beide Partner die Veranlagung zu einer schweren Erbkrankheit haben. Ob ihr Kind von dieser Krankheit betroffen ist, erfahren sie aktuell erst während der Schwangerschaft durch Pränataltests. Diese werden in diesen Fällen invasiv durchgeführt, was wiederum das Risiko einer Fehlgeburt erhöht. Ist der Test auf die Erbkrankheit positiv, dann stehen die werdenden Eltern vor der schweren Entscheidung für oder gegen das Kind. Diesen Leidensweg könnte ihnen eine PID ersparen.

                              swissmom: Und was ist, wenn einfach die Augenfarbe oder das Geschlecht des Kindes stimmen sollen?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: Ein Chromosomenscreening auf einfache, also nicht krank machende Merkmale des Kindes würde in der Schweiz nicht erlaubt – auch nicht mit dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz. Was möglich wäre, ist bei Frauen mit wiederholten Fehlgeburten mehrere Eizellen zu befruchten und vor dem Transfer in die Gebärmutter diejenige auszuwählen, die keine Fehlbildungen aufweist – also die beste Chance auf eine Schwangerschaft bringt. Aus demselben Grund wäre es auch nicht mehr nötig, wie bisher alle drei standardmässig befruchtete Eizellen einzusetzen – in der Hoffnung dass eine überlebt, aber auf die Gefahr hin, dass es Drillinge gibt. In jedem Fall geht es nicht darum, sich das perfekte Kind auszuwählen. Es muss schon immer eine medizinische Begründung dafür vorliegen, die befruchteten Eizellen zu analysieren.

                              swissmom: Also glauben Sie nicht, dass ein „Ja“ an der Urne einen Machbarkeitswahn in Sachen Kinderwunsch auslöst?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: Nein. Wollten wir flächendeckend screenen, müssten ja auch Frauen, welche keine künstliche Befruchtung benötigen, eine strapaziöse Kinderwunschbehandlung durchführen. Das ist unsinnig, weil eine Fertilitätsbehandlung selbst wieder das Risiko von Fehlbildungen gegenüber einer natürlichen Schwangerschaft leicht erhöht. Also würden die Vorteile der Wahl der entwicklungsfähigsten Eizelle sich durch die Nachteile der Kinderwunschbehandlung selbst aufwiegen. Warum sollte sich daher eine gut informierte Frau einer anstrengenden, teuren und nicht risikofreien Behandlung unterziehen, wenn diese netto gar nicht die Fehlbildungsrate verringern kann? Eher als ein Chromosomenscreening grundsätzlich zu verbieten, muss es uns also darum gehen, Paare aber auch die Gesellschaft sachlich aufzuklären. Darüber, was das Screening leisten kann – oder eben nicht leisten kann.

                              swissmom: Was sagen Sie zu Vorwürfen, Reproduktionsmediziner wollten behindertes Leben verhindern?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: So weit, dass wir Behinderung verhindern könnten, sind wir in der Medizin noch lange nicht! Es gibt manche genetische Veränderungen, die wir schon früh feststellen können. Einige Eltern entscheiden sich aber auch dann durchaus für das Kind, etwa bei Trisomie 21. Man darf jedoch nicht vergessen, dass viele Fehlbildungen auch erst während der Schwangerschaft selbst, durch den Geburtsvorgang, oder durch Unfälle später im Leben entstehen. Insofern ist es unmöglich, bereits in der Petrischale ein perfektes Kind zu „erschaffen.“ Die Natur ist uns hier noch weit überlegen.

                              swissmom: Was raten Sie Paaren, die bei Ihnen in Behandlung sind, derzeit bzgl. PID?

                              Prof. Dr. med. Michael von Wolff: Wir führen in der Universitäts-Frauenklinik in Bern bereits die sogenannte Polkörperdiagnostik durch, bei welcher wir zumindest den mütterlichen Anteil genetisch untersuchen können. Dies ist bereits erlaubt und hilft auch in einigen Fällen, etwa wenn eine Erbkrankheit von Seiten der Mutter und des Vaters kommen muss. Ansonsten erklären wir den Paaren, ob die Technik bei ihnen überhaupt Sinn machen würde, und es sich somit lohnen würde, auf die Gesetzesänderung zu warten. Die Paare, bei denen eine PID oder ein Chromosomenscreening Sinn macht und die nicht warten können oder wollen, vermitteln wir auch ins Ausland. Unser Ziel ist und bleibt, den Paaren ein Kind zu ermöglichen, auch wenn dies für sie derzeit nur im Ausland möglich ist. 

                              Letzte Aktualisierung: 17.05.2016, TV